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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Horwood
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sehr dunkel, fast schwarz, die unteren Äste abgestorben, morsch, vertrocknet, sogar staubig trotz der Feuchtigkeit, da der Regen nicht durch das Wipfeldach drang.
    »Es tut mir leid, was wir euch angetan haben, ihr Bäume.«
    Eine Woche nach ihrer Ankunft spürte sie, dass sie beobachtet wurde.
    »Kommt heraus und zeigt euch«, rief sie ohne jede Angst. Schmerz nimmt der Seele die Angst und ersetzt sie durch Mitgefühl.
    Wer immer sie beobachtete, auch er hatte Schmerzen.
    Sie drehte sich auf einer kleinen Lichtung im Kreis. Plötzlich blickte sie in die Augen eines abscheulich aussehenden Hundes. Sie sah ihn an, und er knurrte. Sie sah ihn noch etwas länger an – dann wirbelte sie herum und rannte davon, rannte und rannte und horchte dabei auf das Trommeln seiner Pfoten auf dem Waldboden, auf das Knurren und Hecheln hinter ihr.
    Sie hatte noch immer keine Angst, und sie wusste auch nicht, wohersie wusste, wo sie hinrennen musste und dass sie dort Schutz finden würde.
    Dann war sie draußen auf dem Moor, und aus dem Morgen war Abend geworden. Wie sie so über den holprigen, wasserdurchtränkten Boden rannte, jagten auch andere hinter ihr her, nicht nur Hunde.
    Denn auf ihnen saßen, in gekrümmter Haltung und Zügeln in der Hand, die mit den scharfen Gebissen hechelnder Hundemäuler verbunden waren, struppige Hydden. Vielleicht Männer, vielleicht Frauen. Ihre Kleidung verriet darüber nichts.
    Der erste Hund keuchte immer noch hinter ihr, mit den Kräften am Ende.
    Die Reiter umkreisten sie, mitleiderregend wie übergroße Zwerge, missgestaltete, hässliche, abstoßende Geschöpfe.
    Einer rief mit krächzender Stimme: »Sie kann uns nicht sehen.«
    Judith blickte ihn an.
    Er trug eine Armbrust, eine schöne Waffe. Die anderen waren mit Steinschleudern, Pfeil und Bogen, Messern und Speeren bewaffnet, die im Dämmerlicht glänzten. Sie kamen näher und umzingelten sie.
    »Soll ich auf sie schießen, nur so zum Spaß? Sie ist ein Mensch. Sie wird denken, sie sei gegen einen spitzen Ast gelaufen.«
    Sein Hund fletschte die Zähne, und die anderen Hunde taten es ihm nach. Sie wollten über sie herfallen.
    Sie konnte ihren Schmerz spüren.
    In den Bäumen, in der Erde unter ihren Füßen, in der zunehmenden Dunkelheit, überall.
    Sie schlug einen Haken und rannte den Berg hinab, direkt auf einen Reiter zu. Sie rannte mit aller Macht, um ihn zu rammen.
    Bevor sein Hund sich aufbäumte und zur Seite wich, sah sie das Weiße in seinen Augen. Sie lachte, aber nicht freundlich.
    »Ihr wollt auf mich schießen, mir wehtun? Dann fangt mich!«
    Und sie rannte und rannte. Sie ließ die Hydden hinter sich, bis diese, wütend jetzt und voller Mordlust, merkten, dass das Menschenmädchen ihr Spiel mit ihnen trieb und sich über sie lustig machte. Sie nahmen die Verfolgung wieder auf und kamen ihr immer näher.
    Sie spürte sich, spürte ihre Macht, spürte die Kraft ihres Seins,die alles durchströmte, ihre Glieder, ihren Geist, ihr ganzes Wesen. Sie rannte, und es war herrlich.
    Vor ihr ein Stein, zwei Steine und dann drei. So groß wie sie selbst, vier und fünf, immer mehr.
    Sie schloss vor Wonne die Augen, rannte zwischen die Steine, links herum an ihnen entlang, berührte sie mit den Händen, spielte ihre Musik, liebte jeden Einzelnen, als wäre er ein schöner Traum, ließ ihren Körper eins mit ihnen werden.
    »Ich bin Judith«, rief sie. »Ich fühle euren Schmerz, ich bin die Schildmaid, und ich weiß gar nichts!«
    Dann lachte sie, diesmal freundlich, blieb stehen, öffnete die Augen, spähte zwischen den Steinen des Henges hindurch und sah sie draußen, die Männer und Frauen auf ihren Hunden, zornentbrannt, groß, bedrohlich. Sie erwiderten ihren Blick, hasserfüllt, aber ängstlich.
    »Schick Morten hinein«, sagte eine Frau, die neben dem Mann mit der Armbrust auf einem Hund saß. Sie sah aus wie ein Miststück.
    Judith kannte das Wort, wusste aber nicht, woher. Ihre Eltern benutzten es nie, dennoch hatte es sich in ihrem Hinterkopf eingenistet.
    »Miststück!«
    »Schick den verfluchten Hund hinein, damit er sie zerreißt und zerfetzt und ihr wehtut.«
    Ein Pfiff hallte durch den dunklen Wald.
    Er kam aus der Dunkelheit hinter ihnen, sehr schnell und ohne Angst, die Zähne gefletscht, die Nackenhaare gesträubt, so groß, wie Judith sich jetzt fühlte. Die Steine, bis vor Augenblicken nicht größer als sie, überragten sie jetzt. Sie war nach Hyddenwelt zurückgekehrt, ohne es zu merken.
    Der Hund kam schnell

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