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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Horwood
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Liebe«, wandte Arthur ein. »Wir sind ...«
    »Aber ich komme mir so vor«, erwiderte sie scharf. »Außerdem sollten wir uns nicht um mich Sorgen machen, sondern um Judith. Wo hat sie nur diese Ausdrücke her? Sie kennt doch niemanden, der sie ihr beibringen könnte. Ach, es ist schrecklich!«
    »Wahrscheinlich aus dem Radio«, vermutete Katherine. »In ihrem Zimmer hört sie doch Radio.«
    Das Zusammenleben mit Judith belastete die beiden Frauen mehr als Arthur. An ihm prallten Judiths Launen ab, aber die Frauen nahmen sie persönlich, obwohl auch Katherine mit jedem Tag gleichmütiger wurde.
    Was Judiths Bemerkung über das Feuer anging, so hatte sie Arthur zum Lachen gebracht. Außerdem hatte sie damit voll ins Schwarze getroffen. Er vermutete, dass sie den Ausdruck »ich werd mich drum kümmern« von dem Waldarbeiter hatte, der ein paar hundert Meter die Straße runter wohnte. Er war ein großer, wortkarger, grüblerischer Mann, der zwei scharfe Hunde hielt, die jedes Mal verrücktspielten, wenn Leute vorbeigingen, und nur von einem windigen Zaun daran gehindert wurden, sie anzufallen.
    Wenn sie die Ausdrücke von diesem Mann hatte, dann musste man sich allerdings Sorgen machen. Aber nicht wegen der Hunde. Arthur hatte sich vor ihnen gefürchtet, bis er einmal auf dem Weg zum Einkaufen mit Judith an ihnen vorbeikam. Zu seinem Entsetzen lief sie zum Zaun, schlug und trat mit Händen und Füßen dagegen, schrie und fauchte die Hunde an. Im ersten Moment versuchten sie, über den Zaun zu springen, wohl in der Absicht, sie beide in Stücke zu reißen.
    Plötzlich aber verstummte Judith und gab ein tiefes, heiseres Knurren von sich. Die Hunde hörten auf zu bellen und winselten, flehentlich, als wollten sie Judith davon abhalten, ihrerseits über den Zaun zu klettern und sie in Stücke zu zerreißen.
    »Bastarde«, sagte sie, und er tat so, als hätte er das Wort nicht gehört.
    Als sie weitergingen, kam ihnen der Grübler entgegen, eine Axt in der Hand.
    Er winkte Judith zu, und sie winkte zurück.
    »Ihm gehören die Hunde«, hatte sie gesagt. »Und sein Kamin zieht übrigens tadellos.«
    Man konnte Judith als Teenager bezeichnen, allerdings nicht nach den üblichen Maßstäben. Hinsichtlich ihres Verhaltens und Aussehens war sie eine einschüchternde Erscheinung. Ein Mann Gottes hätte sich wahrscheinlich bekreuzigt, wäre er ihr auf der Landstraße begegnet.
    Sie war groß und stark und hatte denselben nach vorn gebeugten Gang wie ihr Vater, als schicke sie sich an, Felsbrocken zu stemmen, Feinde zu vertreiben, Big Ben zu erklettern, sich oben mit der Rechten festzuklammern und in der Linken einen schreienden Menschen zu halten und aufzufressen.
    Ihr Aussehen trug seinen Teil dazu bei.
    Dass sie sich nicht um ihr Äußeres scherte, wie Margaret und Katherine behaupteten, entsprach schlicht nicht der Wahrheit. Vor dem Spiegel putzte sie sich allerdings nicht heraus; tatsächlich hatte sie den Spiegel sogar aus ihrem Zimmer entfernt und draußen auf dem Flur an die Wand gelehnt.
    »Ich bin lieber mein eigenes Spiegelbild«, sagte sie.
    Seit ihrem kurzen und rührenden Experiment mit Bändern in Paley’s Creek wählte sie ihre Kleidung nur noch nach Zweckmäßigkeit aus. Arthur gefiel das, aber er zog es ohnehin vor, schlampig durchs Leben zu gehen.
    Sie war so schnell gewachsen, dass Katherine es schon wenige Tage nach ihrer Geburt aufgegeben hatte, fabrikneue Kleider für sie zu kaufen. Getragene Sachen aus Läden gemeinnütziger Organisationen waren billiger und praktischer.
    Seit sie in Byrness waren, bevorzugte Judith Kleider und Schuhe, die frühere Cottage-Bewohner zurückgelassen hatten, und andere, die sie mit Arthurs Hilfe in einem Secondhandshop im nahen Otterburn gekauft hatte. Einen solchen Laden hatte Arthur noch nie gesehen. Er war vollgestopft mit Flecktarnhosen und -jacken, alten Militärkompassen, metallbeschlagenen Stiefeln und sonstigem Zubehör,das aussah wie aus einem amerikanischen Kriegsfilm der Sechzigerjahre. Spitzhacken, Klappspaten, nagelneue Seile.
    Judith stöberte zwei Stunden und brachte ihn dazu, ihr eine alte Flecktarnhose, eine Kampfjacke und noch ein paar andere Sachen zu kaufen.
    »Absolut hervorragend«, sagte sie hinterher.
    Auf der Heimfahrt musste er neben einer Forstplantage anhalten, damit sie sich zwischen den dicht stehenden Bäumen umziehen konnte. Als sie wieder herauskam, sah sie aus wie das Mitglied einer Spezialeinsatztruppe auf Patrouille, was offenkundig ihre

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