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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Horwood
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vermutete, dass mit »sie« die Erde gemeint war.
    Das Gehen wurde beschwerlicher, und Judith, die Schildmaid im Kampfanzug, war nicht mehr in der Stimmung, zu reden oder stehen zu bleiben.
    »Ich muss mal pinkeln«, sagte er, als sie sich einen Weg durch den künstlichen Wald zum Girdle Fell bahnten.
    Er kehrte ihr den Rücken zu.
    Wie lange braucht ein Mann, um sich zu erleichtern?
    Eine Minute, wenn er jung ist?
    Arthur brauchte drei, nicht mehr, begleitet von ärgerlichem Schnauben, Keuchen und Schütteln. Vielleicht nur zweieinhalb.
    Doch als er sich umdrehte, war sie schon halb über das Kielderhead Moor und fast außer Sicht. Aber sie spürte, dass er sich darüber wunderte, denn sie drehte sich zu ihm um und hob die Hand, um ihm zu zeigen, dass sie warten würde.
    Er konnte sich nicht erklären, wie sie in so kurzer Zeit so weit gekommen war. Eigentlich war das unmöglich, dennoch hatte sie es geschafft.
    »Die Zeit verschiebt sich«, murmelte Arthur. »Sie ist eine Herrin der Zeit.«
    Er schloss wieder zu ihr auf, und nachdem sie vor Kielder Head vom Weg abgebogen waren, sagte sie: »Wir machen eine Pause, Arthur, damit sie uns sehen können.«
    »Wer?«
    »Die Jungs von der Armee. Sie sind da oben im East Kielder Forestund treiben ihre üblichen Spielchen. Sie schmieren sich Zeug ins Gesicht, stecken sich Zweige ins Haar und in den Rucksack, damit man glaubt, man sieht Natur, wo gar keine ist, sondern nur Menschen, die sich dafür ausgeben.«
    Sie gelangten in flacheres, offenes Gelände, und kleine Bäche, die sie hören, aber nicht sehen konnten, gluckerten ringsum durch den Torf.
    »Hier war mal eine Siedlung«, sagte Judith. »Hier haben prähistorische Leute gelebt. Früher. Wo sind sie hin? Wie haben sie gelebt? Iss, du bist hungrig.« Das war er.
    Sie gab ihm Roggenbrot, ein Stück Käse und Tomaten.
    »Schokolade gibt es nachher. Aber vorher ...«
    Sie gab ihm Suppe.
    »Die wirst du brauchen, denn es wird kalt, wenn wir die Bäume da oben hinter uns lassen und ins Emblehope Moor kommen. Danach, wenn der Sommer vorbei ist ...« Sie stand auf. »... und der Herbst beginnt ...« Der Wind fing sich in ihrem Haar. »... und wir in den Winter wechseln, das heißt in den Kielder Forest ...«
    Sie beendeten ihre Mittagspause im Moor, und sie rannte, und er neben ihr her, das kratzige Heidekraut an seinen alten Beinen, den kalten Wind in seinem Gesicht. Dann flog er. Und er wollte ihr sagen, dass sie geliebt wurde, bevor sie von einem Tag auf den anderen alle verließ, damit sie es nie vergaß.
    »Wenn wir in den Winter kommen, wird er trostloser sein als jemals zuvor«, fuhr sie fort.
    Sie hielt Arthur am Arm fest, damit er nicht in die Landschaft unter ihnen fiel und in ihrem Schatten verschwand.
    »Dann möchte ich nicht allein sein.«
    Weit unten sahen sie die Soldaten kauern, in weißen Windjacken, damit sie in den Schneewehen getarnt waren.
    »Aber es ist doch Juni«, sagte Arthur.
    »Es war Juni«, erwiderte sie. »Sie können uns nicht sehen, Arthur, das ist der Witz bei der Sache. Sie wissen nicht, dass wir hier sind, deshalb ist es gut, dass wir keine Waffen haben bis auf die hier.«
    Es war der Knüppel, den sie abgeschnitten hatte, bisher nicht mehr als ein Stock, jetzt eine robuste und stabile Waffe, so groß wie sie selbst.
    Arthur runzelte die Stirn, blickte auf seine Hand, blickte über das Moor, hielt nach etwas Ausschau, das ihm als Größenmaßstab dienen konnte, entdeckte aber nichts. Hatte sie ihn nach Hyddenwelt entführt? Konnte sie das bereits, auch ohne ein Henge?
    »Sie sind der Feind, nicht wir.« Sie deutete auf die Soldaten.
    Sie beobachteten, wie die Soldaten gezielte Schüsse auf ein Ziel jenseits des Tales abgaben, wobei jeder Schuss so präzise war wie ein Schnitt mit dem Chirurgenmesser. Neben ihnen flüsterte ein Beobachter mit Fernglas Anweisungen.
    Eine minimale Korrektur der Visierung. Eine neue Salve.
    Die Schüsse waren eine Blasphemie und schnitten durch die von Bäumen verschandelte Landschaft des Kielder Forest.
    Sie schlugen tief im Innern des dunklen, trockenen und sterilen Waldes ein.
    »Die armen Bäume«, flüsterte sie und berührte sie im Vorbeifliegen.
    »Berühr Sie, Arthur«, forderte sie ihn auf. »Sie sind ganz allein. Stell dir zehntausend von uns vor, die Füße einbetoniert, die Arme abgeschnitten, wie wir aufrecht dastehen und so eng beisammen, dass nicht einmal ein übers Moor fegender Sturm die im Inneren erreicht. Und du kannst dich nicht bewegen

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