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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Horwood
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verfault, sein Haar, einst geschmeidig und blond, jetzt durchscheinend dünn und so verfilzt, dass es wie klumpiger Gips auf seiner Kopfhaut lag.
    Doch er war nicht tot.
    Dieses völlig verfallene Wesen, das hilflos in einem für Menschen gemachten Stuhl lag, war Slaeke Sinistral I., Kaiser von Hyddenwelt, der mächtigste Hydden, der jemals gelebt hatte, Gründer des Reichs und geistiger Vater all seiner Werke, einst Sohn, Ehemann, Freund und Geliebter.
    Das Alter hatte ihn niedergestreckt, und dass er überhaupt noch am Leben war, mutete wie ein Wunder an. Die Aufzeichnungen belegteneindeutig, dass er über einhundertsechzig Jahre gezählt hatte, als er in der Halle eingesperrt worden war.
    Er hatte sich freiwillig dorthin begeben, nicht um zu sterben, sondern um zu schlafen. Er hatte gehofft und geglaubt, dass bei seinem Wiedererwachen bestimmte Prophezeiungen eingetreten sein würden und dadurch die Mittel zu seiner Rettung, ja sogar zu seiner vollständigen Genesung, zur Verfügung stünden.
    Das war achtzehn Jahre her.
    Wie er so lange überlebt hatte, war nicht sofort ersichtlich, doch im Schlamm rings um den Stuhl fanden sich kleine und große Fußabdrücke, weggeworfene Lappen, mit denen er gewaschen worden war, und die Schläuche waren offenbar dazu benutzt worden, ihm Wasser und Nahrung zuzuführen. Falls dem so war, dann lief ihm und seinen Helfern die Zeit davon. Der Verfall des Kaisers war so weit fortgeschritten, dass es aussichtslos erschien, ihn in seinem Schlafzustand weiter am Leben zu erhalten.
    Nun hatte ihn etwas geweckt, und er erlebte den Alptraum des endgültigen Verfalls, zu dem ihn die Zeit verdammt hatte. Dort unten in der Dunkelheit, unsichtbar und allein, versuchte er verzweifelt, sich bemerkbar zu machen und zu zeigen, dass er erwacht war.
    Ein Finger zitterte, ein Augenlid zuckte, mit schmutzigem Schleim verklebte Lippen versuchten sich zu teilen. Doch selbst wenn er sie hätte öffnen können, hätte sich ihnen kein bedeutsamer Laut entrungen. Er war außerstande, Hydden in der Welt oben um Hilfe anzurufen.
    Ein Erdbeben hatte Slaeke Sinistral geweckt, dasselbe Beben, das in den frühen Morgenstunden des ersten Sommertags in Englalond Stort den Blick auf den Stein ermöglicht hatte.
    Nun hoffte Sinistral, dass eine neue Zeit für ihn anbrach.
    Das Leben, für ihn so lange verloren, würde zurückkehren.
    Die Macht würde wieder ihm gehören.
    Er würde die heilbringende Liebe, die ihn in all den langen und schrecklichen Jahren nie ganz verlassen hatte, wieder genießen können.
    Er konnte nicht lächeln – seine Gesichtsmuskeln waren zu verkümmert –, und so lächelte er in sich hinein.
    Er konnte nicht sprechen, und so waren es stumme und, so seltsam es auch erscheinen mag, freudige Worte, die er hervorbrachte.
    Schließlich öffnete sich sein Mund und versuchte zu lachen. Doch alles, was in die Dunkelheit entwich, war das Zischen seines stinkenden Atems und grießiger Schleim, der über sein runzeliges, zottelbärtiges Kinn lief.
    Doch er bemühte sich weiter, seinen Körper wieder zum Funktionieren zu bringen.
    Ein Fuß regte sich, sein linker Oberschenkel zuckte, sein Kopf drehte sich von einer Seite auf die andere, schneller und immer schneller, als wollte er etwas aus dem Gehirn schütteln.
    Wieder zuckte ein Augenlid, dann auch das andere. Das obere und das untere bemühten sich, Wimpern auseinanderzureißen, die von getrockneten, gelben Tränen verklebt waren und deren Härchen sich ineinander verfangen hatten. Er wollte seine einst schönen Augen öffnen, Licht in der Dunkelheit sehen, irgendetwas sehen. So gefangen zu sein im eigenen Verfall, hören, aber nicht sehen, denken, aber nicht sprechen zu können, das war eine Qual für einen Hydden, der einst die Welt beherrscht hatte.
    Der Körperteil, den er am dringendsten bewegen musste, war die rechte Hand. Mit ihr konnte er, wenn er nur einen Weg fand, etwas sehr Simples tun: auf einen Knopf drücken, der eine Klingel auslöste und jemandem aus der Hydden-Oberwelt signalisierte, dass er am Leben war. Er versuchte die Finger zu bewegen, gab aber völlig erschöpft auf. Er wusste, dass er nun, obwohl erwacht, schnell starb.
    Sein Kopf kam zur Ruhe, und er hörte auf zu kämpfen und bezähmte seine Panik mit demselben starken Willen, der einst ein Reich erschaffen hatte. Er beschloss, sich ein wenig auszuruhen, Kraft zu schöpfen und es später noch einmal zu versuchen.
    Sein inneres Gleichgewicht kehrte zurück. Slaeke

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