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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Horwood
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Vergleichbares kannte er weder aus Hyddenwelt noch aus seinen Büchern. Ihr Zweck bestand offenbar nicht allein darin, Wohlklänge zu erzeugen, und als er sie beim letzten Mal genauer in Augenschein genommen hatte, waren sie ihm zwar zerbrechlich, aber auch ziemlich alt vorgekommen.
    Jacks Erklärung hatte ihn damals nicht zufriedengestellt. Er hatte lediglich gesagt, sie seien nach Auskunft der Hausbewohner immer schon da gewesen, also seit mindestens einem halben Jahrhundert. Und Katherines Mutter habe geglaubt, sie böten irgendeinen Schutz und hätten etwas mit kleinen Leuten zu tun ...
    »Nämlich mit uns«, dachte Stort bei sich und schlich vorsichtig zu der Stelle, an der sie hingen. Sie drehten sich im Wind, schwangen hin und her und erzeugten unablässig das eine oder andere Geräusch, ohne jemals zur Ruhe zu kommen.
    »Tomaten!«, entfuhr es ihm, als er ganz in der Nähe eine wahllos gesetzte Reihe dieser Pflanzen entdeckte, an die er sich nicht von früher erinnerte.
    Er mochte den Geruch der Blätter, und wären die Früchte reif gewesen, hätte er nicht übel Lust gehabt, ein paar fürs Frühstück mitzunehmen.
    In diesem Augenblick rief Barklice vom Rand des Henges, dass ihr Trunk bereitet und das Essen fertig sei.
    Stort kehrte sofort um, und zusammen gingen sie zum Lager zurück, setzten sich und unterhielten sich wie die Freunde, die sie ja auch waren.
    Die Dunkelheit brach herein, die Sterne kamen heraus, und wie am Abend zuvor trug der Wind die verlockenden Klänge der Bilgenermusik herbei.
    »Paley’s Creek«, murmelte Stort, und diesmal protestierte Barklice nicht, denn wahren Freunden ist es gegeben, zur richtigen Zeit den richtigen Ton anzuschlagen und das Richtige zu sagen. So wie Stort jetzt.
    Barklice schwieg, aber Stort hörte, wie er sich schneuzte und die Augen wischte, und nahm an, dass die tiefen Gefühle, die den Freund tags zuvor übermannt und sich in Wut Luft gemacht hatten, nun abermals an die Oberfläche drängten und sich in Form stiller Tränen Bahn brachen. Weshalb, vermochte Stort nicht zu sagen, und es erschien ihm unpassend, danach zu fragen.
    Während Barklice seinen Gedanken nachhing, widmete sich Stort seinen eigenen. Morgen, so hoffte er, würde er zum ersten Mal die Schildmaid sehen. Bestimmt war sie noch jung und klein – aber sicher war er sich dessen nicht.
    »Haben Sie jemals in die Augen eines Kindes geblickt, Barklice?«
    Noch im selben Augenblick, als er die Frage stellte, erkannte er, dass er den Freund ohne Absicht mitten ins Herz getroffen hatte.
    Barklice antwortete lange nicht.
    Als er es endlich tat, sagte er einfach nur ziemlich leise: »Ja.«
    »Darf ich fragen, was Sie dabei empfunden haben?«
    »Liebe«, antwortete Barklice noch leiser. »Ich habe Liebe empfunden, glaube ich. Jawohl, Liebe.«
    »Oh!«, murmelte Stort ob dieser völlig unerwarteten Antwort.»Liebe? Das ist ein starkes Gefühl. Wessen Kind haben Sie denn angesehen?«
    Barklice ließ den Kopf sinken und hätte, da er dabei den Becher in seiner Hand ganz vergaß, beinahe seinen Trunk verschüttet.
    »Es wäre mir lieber, Sie hätten diese Frage nicht gestellt, Stort.«
    »Dann nehme ich sie auf der Stelle zurück! Denken Sie nicht mehr daran.«
    Barklice schüttelte den Kopf.
    »Das geht nicht, mein lieber Freund. Einmal gestellt, kann eine solche Frage nicht unbeachtet bleiben. Das hieße, der Wahrheit den Rücken zu kehren, vor der ich viel zu lange davongelaufen bin. Gewisse Ereignisse der letzten Zeit haben mich nachdrücklich an meine Feigheit erinnert, und das war auch der Grund für meine Grobheit am gestrigen Abend, für die ich um Entschuldigung bitte.«
    »Was für eine Wahrheit?«, fragte Stort.
    »Die Wahrheit, dass ich ein Schwindler bin, Stort«, sagte Barklice tief geknickt, »und das schon seit vielen Jahren. All das Gerede, ich hätte nie geliebt, ich hätte nie die Freuden kennengelernt, über die wir so häufig gesprochen haben, war ... gelogen.«
    »Aber Barklice«, begann Stort entgeistert, »Sie ...«
    »Ich habe gelogen. Ich habe die Liebe kennengelernt, die fleischliche wie die geistige, und ich kann es nicht länger leugnen. Sie haben gefragt, von wem das Kind war, in dessen Augen ich voller Liebe geblickt habe.«
    »Ja.«
    »Es war mein eigenes, Stort. Es war mein Sohn, und ich habe ihm den Rücken gekehrt.«
    »Aber Barklice«, sagte Stort ganz leise, »mein lieber Freund!«
    Und dort neben dem Henge, das Klirren der Windspiele auf der einen und die

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