Das Erwachen
geheimnisvolle Musik von Paley’s Creek auf der anderen Seite, weinte Barklice und flüsterte: »Er war mein Sohn, Stort, und ich habe ihn verleugnet und das Kostbarste aufgegeben, was ich jemals besessen habe. Ja, ich habe einmal in die Augen eines Kindes geblickt, aber ich habe das Wunder nicht erkannt, das ich sah!«
22
DER FAHRENDE GELEHRTE
A ls Slew in Brum eintraf, wurde er von der Gruppe, in deren Vertrauen und Herzen er sich auf so teuflische Weise geschlichen hatte, wie ein Bruder behandelt, auch wie der Bruder, für den er sich ausgab.
Sie gerieten auf unterschiedliche Weise in seinen Bann. Ihr Anführer Gerolt, der bei dem Überfall, vor dem Slew sie gerettet hatte, verwundet worden war, fühlte sich ihm körperlich und geistig unterlegen. Ansel krankte seit dem blutigen Zwischenfall an Leib und Seele und überließ Slew nur allzu gern die Führung. Bente, Gerolts Bruder, gewährte ihm den Vortritt, und Diederick, ihr Onkel, hatte nichts gegen Slew einzuwenden, obgleich er ihm zu glatt und zu kultiviert erschien, um ihn zu mögen.
Von den Frauen hatte Evelien, Diedericks Tochter, am schnellsten Slews Drängen nachgegeben. Sie hatte es aus zwei Gründen getan, von denen einer so gewichtig war wie der andere. Einer war Begierde, die in dem Augenblick entflammt war, als er die Angreifer getötet und, blutbefleckt und stark, das Kommando übernommen hatte. Rohe, nackte Begierde.
Seinetwegen fand sie des Nachts keinen Schlaf und schon lange vor seiner ersten fordernden Berührung war sie sein. Noch vor dem ersten Kuss gab sie sich ihm hin, noch vor ihrer ersten, ungestümen, stummen, fast brutalen Vereinigung gehörte sie ihm für immer und ewig.
Der zweite Grund war von eher banaler Natur.
Sie wusste, dass ihre Cousine Machthild, die Tochter ihres Onkels, dasselbe empfand, und wollte sie eifersüchtig machen. Wenn sie Slew für sich eroberte, nahm sie ihn Machthild weg. Die jüngere Frau triumphierte über die ältere, auch wenn es nur wenige Jahre waren, die sie trennten.
Freilich triumphierte sie nicht über die schwächere, die weniger leidenschaftliche.
Wenn Slew in einer Nacht von Evelien genug hatte, schlich er, unbemerkt von den Männern, die in bleiernem Schlaf lagen und schnarchten, in Machthilds Bett.
Wer von den beiden, Slew oder Machthild, mit wem spielte, war schwer zu sagen, aber wahrscheinlich sie mit ihm. Sie ließ ihn nur bis zu einem bestimmten Punkt gewähren, dann flüsterte sie ihm ins Ohr: »Du gehörst Evelien, nicht mir, der Spiegel stehe dir bei. Geh zu ihr zurück.«
Das gefiel Slew.
Es erregte ihn, von einer, die ihn begehrte, abgewiesen zu werden.
Es amüsierte ihn, und so lachte er.
»Das werde ich.« Er nahm die Hände weg, blieb aber neben ihr liegen und drehte sich auf den Rücken. »Ich werde zu ihr zurückkehren. Aber vorher sag mir etwas, süße Machthild.«
Tatsächlich war sie alles andere als süß. Schön, ja. Intelligent, ja. Amüsant, allemal. Mutig, keine Frage. Aber süß? Wie Salz.
»Ja?«
Dann redeten sie bis tief in die Nacht, ohne sich aber wie Liebende in den Armen zu halten, sondern Seite an Seite, vertraut, ungezwungen, einträchtig wie Pferde auf der Weide. Er berührte sie auf eine Weise, wie er noch nie eine Frau berührt hatte. Ihre vollen Brüste streiften manchmal seine Brust, ihre Hände streichelten ihn manchmal wie beiläufig, mehr aber nicht.
Sie redeten bis zum Morgengrauen, und als es Zeit wurde, kehrte er der Höflichkeit halber kurz in Eveliens Bett zurück.
Die Männer waren Gewohnheitstiere, und wie sie schliefen, so wachten sie auch auf, immer zur selben Zeit, als hätten sie es so gelernt. Noch fünf Minuten vor ihrem Erwachen hätte Slew Evelien lieben und eine oder zwei Minuten damit fortfahren können, denn er wusste, dass sie sich zwar regten, aber nicht ganz wach werden würden. Es gefiel ihm, Narren aus ihnen zu machen.
Machthild fühlte, dass sie in Slew ihre Bestimmung gefunden hatte.
Wer immer er sein mochte, sie wusste, er war kein gewöhnlicher Hydden und auch kein gewöhnlicher Fyrd. Er hatte den Körper einesGottes. Seine Berührungen waren himmlisch. Seine Intelligenz war erregend und anregend zugleich. Sein Humor schwarz und abgründig wie ihrer.
»Du bist auch nicht übel«, sagte er, indem er ihre Komplimente abwehrte. »Man würde nicht erwarten, dass dergleichen den Lenden einer so tölpelhaften Familie entspringt!«
»Du bist ein sehr scharfer Beobachter, Slew«, antwortete sie. »Ich glaube nicht,
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