Das Erwachen
in seine Höhle hinabstieg oder wieder nach oben kam, wurde er allseits mit einem vertrauten Nicken begrüßt, sogar von Master Brif persönlich.
Bei mehr als einer Gelegenheit fragte man ihn: »Geht es voran? Finden Sie, was Sie brauchen?«
»Fürwahr«, antwortete Slew dann, »die Arbeit eines Gelehrten ist nie getan, auch nicht an einem sonnigen Tag wie heute!«
Dies stimmte allerdings. Es war ein schöner Sommer, und Regentage gab es für Slews Geschmack viel zu selten. Was er brauchte, war eine längere Regenperiode, die in der Bibliothek für Betrieb sorgte, während Master Brif und seine leitenden Kollegen mit anderen Dingen beschäftigt oder außer Haus waren.
Unterdessen ging er weiter seinen Aktivitäten außerhalb der Bibliothek nach. Sein Quartier neben Bedwyn Storts Haus war bequem und bot ihm in den Armen Eveliens und ihrer Cousine Machthild mehr als genug Erholung vom Gelehrtendasein.
Allerdings wurde er der Ansprüche der jüngeren Wyf allmählichüberdrüssig, was Machthild in höchstem Maße amüsierte. Sie selbst widerstand weiterhin Slews Forderungen und beschränkte ihr nächtliches Zusammensein auf lustvolle Gespräche, bei denen sie ihm eine ebenbürtige Partnerin war: geistreich, intelligent, anzüglich und humorvoll, aber nicht mehr.
Den männlichen Mitgliedern der Familie, ihren vermeintlichen Beschützern, wie Slew sie nannte, blieb dieses Treiben erstaunlicherweise verborgen. Sie sprachen gern dem Met zu, eine Gewohnheit, in der sie von Slew und seine beiden Bettgenossinnen bestärkt wurden. So weilten sie entweder außer Haus, um zu zechen, oder lagen im Bett, um ihren Rausch auszuschlafen.
Gleich bei seiner Ankunft in Brum war Slew durch seine Größe und offensichtliche Körperkraft aufgefallen. Einige Tage später war eine größere Gruppe von Pilgern aus den Nordlanden eingetroffen, von denen einige ebenso groß waren wie er. Leute von der Sorte, die gern einen Streit vom Zaun brachen.
Sie sprachen ihn im Muggy Duck an und fragten ihn, ob er oder seine Vorfahren aus ihrem Land stammten. Er erkannte sofort einen Vorteil darin, sich mit ihnen zusammenzutun. Sie sahen so aus, als seien sie einem Kampf nie abgeneigt, und er hatte in letzter Zeit keine Gelegenheit gefunden, sich im Kampf mit dem Knüppel zu üben, wie es seine Gewohnheit war. Die Nordländer trugen alle Knüppel, und zwar große.
Ma’Shuqa duldete im Muggy Duck keine Knüppel, denn wo Knüppel waren, wurden sie auch gern benutzt, wenn der Met in Strömen floss. So ließen die Nordländer ihre draußen auf dem Kai, aufrecht zu einem Haufen zusammengestellt als sichtbares Zeichen ihrer gemeinsamen Stärke und als Warnung an alle, dass jeder, der sich mit einem von ihnen anlegte, es mit dem ganzen Haufen zu tun bekam.
Aber Slew kannte die Sorte. Davon gab es in Thüringen viele. Sie waren immer bereit, den Mut anderer auf die Probe zu stellen und sie, wenn möglich, zu demütigen. Als er daher öffentlich und frech nach seiner Herkunft gefragt wurde, log er und antwortete, seines Wissens stimme es. Er habe nordländisches Blut in den Adern.
»Aber du bist ein Mönch!«, rief darauf einer. »Wir Nordländer geben keine guten Mönche ab.«
»Und wenn ich es recht bedenke«, setzte ein anderer hinzu, »mögen wir Mönche nicht einmal.«
Slew sah sie herablassend an.
Da mischte sich Ma’Shuqa ein, die ein Gespür dafür hatte, wenn sich ein Streit zusammenbraute. »Meine Herren, mäßigen Sie sich, wenn ich bitten darf. Er ist ein Einsiedlermönch und ein Mann des Spiegels, und Sie sind zu zwölft und betrunken.«
»Sternhagelvoll, würde ich sagen«, ergänzte Slew.
Er erhob seinen Krug zu einem spöttischen Gruß.
»Nun aber ...«, sagte Ma’Shuqa in warnendem Ton.
Ein Nordländer stand wütend auf. Die Gäste des Duck verstummten. Eine zünftige Prügelei von Zeit zu Zeit war durchaus nach ihrem Geschmack, und sie freuten sich, wenn Fremde Ma’Shuqas mahnende Worte ignorierten.
»Hättest du nicht die Kutte an, mein Freund«, sagte der Nordländer, »würde ich dich auf den Kai hinauswerfen.«
Schneller, als alle anderen schauen konnten, langte Slew über den Tisch und packte den Nordländer so fest an der Jacke, dass diesem die Luft wegblieb.
»Soll ich ihn hinauswerfen?«, fragte er Ma’Shuqa. »Oder soll ich ihn nur werfen?«
Er wartete die Antwort nicht ab.
Er stand auf, ohne den anderen loszulassen, zog ihn mühelos mit einer Hand über den Tisch und rief: »Macht die Tür auf!« Ein Stammgast
Weitere Kostenlose Bücher