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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Horwood
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mächtig, sogar gefährlich war, aber auch begehrenswert.
    Hätte er sich frei bewegen können, so hätte er sich immer näher an Storts Versteck herangearbeitet wie ein Hund, der ein zitterndes Kaninchen erschnuppert. Er hätte dazu einfach nur die Lebenskraft des Steins auf sich wirken und sich von ihr leiten lassen müssen.
    Thwart, der für die Abteilung, in der Stort hauptsächlich arbeitete, zuständige Bibliothekar, war unwissentlich zu Slews Bundesgenossen, aber auch zu einem Hindernis geworden. Er hätte nicht hilfsbereiter sein können, ließ alles stehen und liegen, um dem falschen Gelehrten ein Buch zu bringen oder in panischer Beflissenheit seine Fragen zu beantworten, als wären Slews Bedürfnisse von solcher Dringlichkeit, dass sie umgehend befriedigt werden mussten.
    Die Bitten um bestimmte Bücher und die Erkundigungen nach bestimmten Werken waren alle nur vorgeschoben. Allerdings war Slew klug genug, ihnen den Anschein von Aufrichtigkeit und Folgerichtigkeit zu geben, auch wenn er an den Ergebnissen eigentlich gar nicht interessiert war.
    Sein Ziel war es, das Vertrauen des Bibliothekars zu gewinnen und ihn in falscher Sicherheit zu wiegen, damit er zum geeigneten ZeitpunktMagazintüren öffnete, die er nicht öffnen, oder Schlüssel herumliegen ließ, die er eigentlich am Leib tragen sollte.
    Aber Thwart hatte eine romantische Ader, die Slew Verdruss bereitete.
    »Es muss ein schönes Leben sein, Bruder Slew, auf der grünen Straße der Gelehrsamkeit zu wandeln, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn, wenn ich es einmal so ausdrücken darf!«
    »Schöner kann man es kaum formulieren«, erwiderte Slew.
    »Ich bin froh, dass Sie das sagen, denn auch andere meinen, ich könne gut mit Worten umgehen. Sie, Bruder, brauchen natürlich diese Gabe, wenn aus Ihren Studien etwas erwachsen soll, an dem andere Vergnügen finden. Wie zum Beispiel ein Kommentar, eine Kompilation oder eine Vortragsreihe an einer der großen oder kleinen Schulen, die auf Ihrem Weg liegen und von denen es, wie man hört, in Deutschland noch eine erkleckliche Zahl geben soll.«
    »Ach wirklich?«, knurrte Slew.
    »Aber gewiss. Ich hoffe, ich rede nicht zu viel, aber ich finde, das muss gesagt werden. Immerhin ist der höchste Zweck der Gelehrsamkeit doch derselbe, den jene verfolgen, die einen strengeren, spirituellen Weg einschlagen und ihre Tage mit Beten und Meditieren zubringen. Meinen Sie nicht auch?«
    »Äh ... ja nun ... äh ... doch, doch«, pflegte Slew in solchen Augenblicken zu antworten. »Aber nun muss ich arbeiten.«
    Während der Pilgerzeit war die Bibliothek jeden Tag geöffnet. Das bedeutete, dass sie an Sonntagen, wenn Master Brif und einige andere Mitarbeiter ihren freien Tag hatten, unterbesetzt war und Bibliothekaren wie Thwart die Arbeit über den Kopf wuchs.
    Darin sah Slew eine Gelegenheit.
    Zu Thwarts Pflichten gehörte es, zurückgegebene Bücher wieder an ihren Platz zu stellen. Dazu musste er bisweilen die Gittertüren obskurer Magazine öffnen, in denen größere oder seltenere Bände lagerten. Manchmal tat er dies mit einem Band in der Hand, der so groß und sperrig war, dass er der Hilfe eines Kollegen bedurfte, die jedoch nicht immer zu haben war.
    Wenn er mehr als nur einen Band zu tragen hatte, gestaltete sich das Ganze noch schwieriger. Manchmal legte er die Bücher auf einennahen Tisch, ehe er den Schlüssel zückte und die Tür aufschloss. Manchmal öffnete er auch zuerst die Tür, bevor er die Bücher holte und hineintrug.
    In beiden Fällen blieben Tür oder Bücher vorübergehend unbeaufsichtigt, und Thwart geriet in solchen Augenblicken in Unruhe und Besorgnis.
    Überdies fiel Slew auf, dass in der Bibliothek immer dann Hochbetrieb herrschte, wenn es draußen regnete. An solchen Tagen strömten, um dem Regen zu entrinnen und ein wenig zu schmökern, Pilger mit einem Hang zur Gelehrsamkeit herein, die sonst versucht gewesen wären, mit Freunden im Freien zu zechen oder zum Waseley Hill hinaufzuwandern.
    Die Bibliothekare fürchteten solche Tage, denn diese Gelegenheitsleser nahmen ihre Zeit weit mehr in Anspruch als die regelmäßigen Besucher. Tatsächlich machte sich an solchen Tagen eine gewisse »Wir und die«-Stimmung breit. Slew erkannte, dass dies günstige Gelegenheiten eröffnete.
    Während er diese Vorgänge unter dem Deckmantel des Gelehrten beobachtete, trug seine tägliche Anwesenheit erste Früchte. Bald gehörte er zu den Stammbesuchern der Bibliothek, und wenn er die Treppe

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