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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Horwood
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verstehen«, erwiderte der Angesprochene. »Auf die eine oder andere Weise waren Sie verantwortlich für die Zeugung eines Kindes?«
    »Eines Jungen.«
    »Auf die eine oder andere Weise haben Sie ihn und eine Frau im Stich gelassen?«
    »Seine Mutter.«
    »Und auf die eine oder andere Weise haben Sie es vermieden, an diesen Ort, der womöglich gar kein richtiger Ort ist, sondern eine Art Wanderdüne, zurückzukehren, und das seit ungefähr zwölf Jahren.«
    »Morgen sind es genau zwölf Jahre.«
    »Bis wann können Sie noch Anspruch auf ihn erheben?«
    »Morgen um Mitternacht läuft die Frist ab. So lange werden sie dort sein und darauf warten, dass ich mich zu meinem Jungen bekenne.«
    »Ich bringe Sie hin, mit oder ohne Jack! Wie heißt der Junge?«
    »Das weiß ich nicht«, antwortete Barklice gereizt.
    »Wie sieht er aus?«
    »Heute? Ich habe keine Ahnung. Was sich in der Nacht seiner Zeugung zutrug, geschah gewissermaßen en passant ... als ich nicht ganz Herr meiner Sinne war. Ich habe ihn später nur einmal als Säugling gesehen.«
    Stort blickte erstaunt. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie betrunken waren, als Sie ... als Sie ...?«
    »Nein, war ich nicht.«
    »Waren Sie nüchtern?«
    »Mein Geist trieb sanft auf einem Meer der Ruhe, mein Körper war umfangen, ja umschlungen ...«
    »Wovon?«
    »Fragen Sie nicht, wovon, sondern von wem.«
    »Von wem also?«
    »Von einer großen, herrlich duftenden Rose, deren Seidenhüllen lose saßen und deren Hände unbefangen ...«
    »Aha! Diese Frau, diese Mutter ist oder war eine junge Bilgenerin?«
    »Ihre Fragen sind zu wissenschaftlich, Stort. Ich weiß nur, dass neun Monate nach meinem Aufenthalt in diesem schwebenden, nächtlichen Paradies ein Junge geboren wurde. Er ...«
    »Woher wissen Sie, dass es ein Junge ist?«
    »Weil sie es mir gesagt haben.«
    »Wer?«
    Barklice rückte näher und spähte dabei nach links und rechts, ob auch kein im Dunkeln steckender Fremder ihn hören konnte.
    »Bilgenerinnen. Ich begegne natürlich ständig welchen, aber das erste Mal geschah es vier Jahre nach diesem misslichen Vorfall. Zwei Frauen stießen einander in die Seite, grinsten mich an und sagten: ›Sie haben sich seinerzeit trefflich amüsiert, Mister Barklice, vor vier Jahren!‹
    Sie kugelten sich vor Lachen und sagten etwas höchst Bedenkliches, bevor sie weitergingen: ›Aber keine Angst, dem Jungen geht es gut.‹
    ›Was für einem Jungen?‹, rief ich ihnen erschrocken nach, aber sie waren schon fort.
    Seit jenem Tag geschieht es immer wieder, dass ein Bilgener in einem unvermuteten Augenblick zu mir sagt: ›Er wächst schnell, Mister Barklice, ein aufgeweckter Bursche, dessen Erziehung Sie in Bälde übernehmen können.«
    ›Wer ist er?‹, frage ich dann immer, und: ›Wo ist er?‹
    Aber diese Bilgener sind schwer zu fassen, ihre Worte gehen einem noch nach, wenn sie selbst längst fort sind, führen aber zu nichts, als wären sie niemals ausgesprochen worden. Trotz aller Bemühungen habe ich nie mehr über ihn in Erfahrung gebracht, als dass erexistiert und irgendwo lebt. Und Paley’s Creek habe ich nie wiedergefunden, bis wir auf dem Weg nach Woolstone diese Musik gehört haben.«
    »Und das war vor zwölf Jahren weniger eine Nacht?«, fragte Jack.
    »Ja.«
    Stort wandte sich an Jack. »Mir scheint, wir kommen endlich voran und bringen Klarheit in die Angelegenheit. Also ...« Er wandte sich wieder an Barklice. »Wann genau endet die Zusammenkunft, die Paley’s Creek genannt wird?«
    »Bei Vollmondwechsel im Mai, also gegen Ende des Monats, je nachdem.«
    »Wir haben jetzt das Ende des Monats«, sagte Jack. »Barklice hat recht – uns bleibt nicht mehr viel Zeit, morgen ist vielleicht seine letzte Gelegenheit.«
    Stort blickte zum Himmel. Der Mond war bereits im Abnehmen begriffen.
    »Meine Freunde, die schlichte Tatsache ist die: Wenn ich morgen nicht hingehe, werde ich es niemals können. Denn wenn ich es versäume, die Verantwortung für den Jungen zu übernehmen, wird das als Beweis dafür erachtet werden, dass ich nicht zum Vater tauge – und der Junge wird für immer bei seiner Mutter bleiben. Ich werde unter den Bilgenern geächtet sein als einer, der sich vor der Verantwortung gedrückt hat.«
    Jack stand auf.
    »Ich muss gehen«, sagte er.
    »Aber ich habe dir noch gar nicht gesagt, weswegen wir den weiten Weg hergekommen sind«, rief Stort.
    »Das kannst du morgen Abend nachholen, wenn wir, wie ich vorschlagen würde, alle zusammen zum Paley’s

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