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Das Erwachen

Das Erwachen

Titel: Das Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Horwood
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ausgelassenen Nacht. »Nur jetzt noch nicht, aber irgendwann.«
    »Hmm ... dann komm, ich zeige es dir. Wenn Mom es kann, kannst du es auch ...«
    Unterdessen wuchs Barklices neue Familie immer weiter an, denn andere Bilgener und Hydden stießen zu ihnen und stellten sich als Cousins, Tanten, Großnichten, Onkel, Großonkel, Mütter, Brüder und »alte Freunde, die praktisch zur Familie gehören« vor.
    Der Morgen dämmerte bereits, als Barklice, Stort, Bratfire und Arnold, der das Boot steuerte, mit reichlich Speis und Trank gestärkt und dem Einschlafen nahe, die Heimfahrt nach Brum antraten. Jack blieb zurück, überzeugt, dass er in Brum nicht von Nutzen sein konnte und dass sein Platz bei Katherine und Judith war.
    Die ganze Gesellschaft strömte am Flussufer zusammen, um Abschied zu nehmen, weinte, jammerte, umarmte und küsste sie alle, bevor sie endlich an Bord durften.
    Aber das war nicht das Letzte, woran sich Stort später erinnern sollte.
    Die aufgehende Sonne drang durch den Frühnebel, und als der letzte Verwandte Bratfires ihren Blicken entschwand und der Junge sich neben Barklice setzte, der müde aussah und nervös ob der Dinge, die kommen sollten, erblickte Stort auf der anderen Seite die gebeugte Gestalt einer Frau.
    Sie war sehr alt, älter, als er sie vom Vorabend in Erinnerung hatte. Die Modor, die weise Hydden, sah ihm nach. War sie es, die ihn um seinen Arm gebeten hatte?
    Er verspürte eine so tiefe Wehmut, dass er aufstehen und zum Abschied die Hand heben musste, als könnte diese Geste seine unerwartete Trauer lindern.
    Sie hob nicht die Hand, vielleicht war sie dazu zu schwach, aber sie nickte ihm zu, und möglicherweise lächelte sie sogar.
    Auch Jack und Katherine sahen es vom Ufer, vor allem aber Judith.
    »Wer ist sie?«, fragte sie.
    »Eine weise Frau, die viel erlebt und noch mehr gelernt hat«, antwortete Jack.
    »Warum ist sie so traurig und gebeugt?«
    »Weil sie einsam ist«, sagte Katherine. »Der Weg zur Weisheit ist von allen der einsamste und schwierigste, wenn man ihn bis zum Ende geht.«
    »Hat sie denn keine Freunde?«
    »Sie ist zu alt«, sagte Katherine.
    »Es ist schwer, neue zu finden, wenn man die alten verloren hat.« Jack nahm Katherines Hand und hielt sie fest. »Drum sieh zu, dass du deine Freunde nicht verlierst, wenn du es verhindern kannst.«
    »Ja«, sagte Judith.
    Dann glaubten sie zu sehen, wenngleich es niemand hätte beschwören können, wie aus dem Nebel hinter der alten Modor die weiße Flanke eines Pferdes auftauchte. Herrliche Nüstern stießen dampfende Wölkchen aus, die im Sonnenlicht glitzerten und von einem Hieb des Pferdeschweifs durcheinandergewirbelt wurden.
    Dann waren sie und das Pferd verschwunden.
    Als der Nebel sich verzog und der Morgen sich in seiner ganzen sommerlichen Pracht auf das Ufer legte, war nichts mehr zu sehen, nur die Sonne im Tau.
    »Pa?«, fragte Bratfire. »Wie lange wird es dauern, bis wir in Brum sind?«
    »Nicht lange«, antwortete Barklice fröhlich.
    Stort und er winkten Jack und den anderen zum Abschied.
    »Er ist nicht mitgekommen«, sagte Barklice.
    »Ich habe ihn nicht darum gebeten«, erwiderte Stort. »Das muss er mit sich selbst ausmachen. Aber er wird es spüren, wenn er gebraucht wird. Es braut sich etwas zusammen.«
    »Was?«
    »Ärger.«

28
DER DIEB
    D ie große Bibliothek von Brum öffnete sonntags um neun Uhr ihre Pforten, wenn zur Pilgerzeit die meisten Leute noch schliefen oder gerade aufstanden.
    Doch jede Bibliothek hat ihre traurigen Leser, die ihren Tagesablauf nach den Öffnungs- und Schließungszeiten ihrer Alma Mater ausrichten und sonst so wenig im Leben haben, dass sie, um der Realität seiner Leere zu entfliehen, Zuflucht suchen bei Karteikarten, Bibliographien und einem tröstenden Pult, beim Forschen nach Quellen, beim Wiederentdecken von Vergessenem, an das zu erinnern nicht lohnt, und bei der Zuwendung zu Dingen, die so obskur sind, dass nur traurige Leser in anderen Bibliotheken irgendwo in Hyddenwelt wissen, wovon sie überhaupt sprechen. Ihre einzige Erholung von den Stunden zwischen staubigen Regalen besteht in dem bescheidenen täglichen Vergnügen eines kärglichen Mittagsmahls, das sie allein im Freien zu sich nehmen und bei dem sie die wirkliche Welt vorbeiziehen sehen. Danach begeben sie sich wieder an die Arbeit und auf den langen Weg eines Gelehrten zum Grab.
    Sie sind zu bedauern, denn sie kennen kein anderes Leben als das zwischen Pult, Bett und flackerndem Kaminfeuer, den

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