Das Eulenhaus
ich da gern beigewesen!« Mrs Crabtree seufzte auf. »Nächste Beerdigung, wo ich hinmuss, is meine eigene, nehm ich an.«
»Nein!«, schrie Henrietta wieder auf. »Sie dürfen sich nicht aufgeben. Gerade haben Sie noch erzählt, dass Dr. Christow Ihnen gesagt hat, er und Sie machen Medizingeschichte. Na, und jetzt müssen Sie eben allein weitermachen. Sie kriegen doch die Medikamente weiter. Sie müssen einfach ab jetzt den Mumm für zwei haben – Sie müssen selbst Medizingeschichte machen – für ihn mit.«
Mrs Crabtree sah sie lange an. »Klingt ‘n bisschen riesig! Ich werd mir Mühe geben, Mädelchen. Mehr kann ich nicht versprechen.«
Henrietta stand auf und nahm ihre Hand. »Auf Wiedersehen. Ich komme Sie wieder besuchen, wenn ich darf.«
»Nur zu. Tut mir ganz gut, ‘n bisschen über unsern Dockter zu reden.« Wieder hatte sie ein anzügliches Zwinkern in den Augen. »War’n anständige Kerl in jeder Beziehung, Dr. Christow.«
»Ja«, sagte Henrietta, »das war er.«
»Nicht ärgern, Mädelchen«, sagte die alte Frau, »was weg is, is weg. Das kommt auch nich wieder.«
Mrs Crabtree und Hercule Poirot, dachte Henrietta, hatten ihr dasselbe gesagt, nur verschieden ausgedrückt.
Sie fuhr nach Chelsea zurück, stellte den Wagen in die Garage und ging langsam in ihr Atelier.
»Jetzt ist er gekommen«, dachte sie, »der Augenblick, den ich gefürchtet habe – der Augenblick, in dem ich allein bin. Jetzt kann ich ihn nicht mehr verdrängen. Jetzt ist die Trauer da, hier bei mir.«
Wie hatte sie zu Edward gesagt? »Dabei möchte ich doch so gern um John trauern.«
Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen und strich sich die Haare aus dem Gesicht.
Allein – leer – beraubt. Diese entsetzliche Leere.
Tränen brannten ihr in den Augen und liefen ihr langsam die Wangen hinunter.
Trauer, dachte sie, Trauer um John. Oh, John – John.
Erinnerungen, Erinnerungen – an seine vom Schmerz scharfe Stimme: Du würdest, wenn ich tot wäre, mit tränenübe r strömtem Gesicht sofort beginnen, irgendeine verdammte trauernde Frau zu modellieren, irgendeine Darstellung des Kummers.
Sie rutschte unbehaglich hin und her. Warum fiel ihr das jetzt ein?
Kummer – Trauer… Eine verschleierte Figur – der Umriss kaum zu erkennen – der Kopf verhüllt.
Alabaster.
Sie sah sie vor sich – hochgewachsen, lange Linienführung, verborgener Kummer, der nur durch die langen traurigen Falten des Umhangs zum Ausdruck kommt.
Trauer, die aus dem lichten, transparenten Alabaster strömt.
Wenn ich tot wäre…
Plötzlich fiel Bitterkeit mit voller Wucht über sie her!
»Ja, so bin ich ! «, dachte sie. »John hatte Recht. Ich kann nicht lieben – ich kann nicht trauern – nicht mit meinem ganzen Ich. Midge, Leute wie Midge sind das Salz der Erde.«
Midge und Edward in »Ainswick«.
Das war die Wirklichkeit – Kraft – Wärme.
»Ich dagegen«, dachte sie, »ich bin kein vollständiger Mensch. Ich gehöre nicht mir selbst, sondern zu etwas außerhalb von mir. Ich kann um meinen Toten nicht trauern. Ich muss meine Trauer nehmen und stattdessen eine Alabasterfigur daraus machen…«
Exponat Nr. 58. »Trauer«. Alabaster. Miss Henrietta Savernake…
Und fast hörbar sagte sie: »John, vergib mir, verzeih mir, aber ich kann nicht anders.«
Über dieses Buch
The Hollow ist ein Poirot-Krimi, obwohl Agatha Christie später in ihrer Autobiografie schreibt: »In mancher Hinsicht war The Hollow natürlich mehr ein Roman als eine Detektivgeschichte. Überdies hatte ich immer das Gefühl, das Buch damit verpfuscht zu haben, dass ich Poirot als handelnde Person einfügte. Ich war daran gewöhnt, Poirot in meinen Büchern zu haben, und so hatte ich ihn auch in The Hollow dabei, obwohl er da eigentlich gar nicht hingehörte. Er spielte seine Rolle ganz ordentlich, aber ohne ihn, dachte ich, wäre das Buch besser geworden.«
The Hollow erschien 1946 bei Collins in England; im selben Jahr bei Dodd, Mead & Co. in New York unter dem Titel Murder after Hours. Dort schätzten die Kritiker das Buch ganz anders ein: »Hercule Poirot kehrt in guter Form zurück« ( New Republik, 28.10.1946), oder: »Hier zeigt Agatha Christie sich von ihrer besten Seite.« ( New York Times, 29.9.1946)
In Deutschland erschien der Roman 1947 unter dem Titel »Das Eulenhaus« und war mit der Nummer 1 der erste der berühmten schwarzroten Scherz-Krimis.
Als »Eulenhaus« wird der Landsitz von Sir Henry und Lady Angkatell bezeichnet; wie immer
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