Das Eulenhaus
überhaupt nichts«, sagte Gerda, »John war – er war nicht – «, Benommen und seltsam jammervoll stand sie da. Plötzlich sah sie hoch und Henrietta direkt ins Gesicht. »Es war eine Lüge – alles! Alles, für was ich ihn gehalten habe. Ich habe sein Gesicht gesehen an dem Abend, als er mit dieser Frau mitgegangen ist. Veronica Cray. Ich wusste, dass er sich viel aus ihr gemacht hatte, natürlich Jahre bevor er mich geheiratet hat, aber ich dachte, das wäre vorbei.«
»Es war auch vorbei«, sagte Henrietta sanft.
Gerda schüttelte den Kopf. »Nein. Die ist da aufgetaucht und hat behauptet, sie habe John seit Jahren nicht mehr gesehen – aber ich habe Johns Gesicht gesehen. Er ist mit ihr mitgegangen. Ich bin ins Bett gegangen. Ich habe versucht zu lesen – ich habe es mit diesem Kriminalroman probiert, den John gerade las. Aber John kam nicht. Und schließlich bin ich auch aus dem Haus gegangen…«
Ihr Blick schien sich nach innen zu richten, als sehe sie die Szene wieder.
»Der Mond schien hell. Ich bin den Weg zum Schwimmbecken entlanggegangen. Da war Licht in dem Pavillon. Und da waren sie – John und diese Frau.«
Henrietta stöhnte leise auf.
Gerdas Gesichtsausdruck hatte sich völlig verändert. Er hatte nichts mehr von der etwas leeren Freundlichkeit wie sonst. Er war grausam, unerbittlich.
»Ich habe John doch vertraut. Ich habe an ihn geglaubt – als ob er Gott wäre. Ich habe gedacht, er ist der edelste Mensch auf der Welt. Ich habe gedacht, er ist einfach alles, was edel und gut ist. Aber das war alles Lüge! Auf einmal blieb mir gar nichts mehr. Ich – ich habe John angebetet!«
Henrietta starrte sie fasziniert an. Hier, vor ihren Augen, stand das, was sie erahnt und geschaffen, was sie aus dem Holz geschnitzt hatte. Hier stand »Die Anbeterin«. Die blinde Ergebenheit, auf sich selbst zurückgeworfen, getäuscht, gefährlich.
»Ich habe es nicht ertragen können!«, fuhr Gerda fort. »Ich musste ihn töten! Ich musste – das siehst du doch ein, Henrietta, nicht?«
Sie fragte das im ganz normalen Gesprächston, fast freundlich.
»Ich wusste auch, dass ich vorsichtig sein muss, weil die Polizei ziemlich klug ist. Aber ich bin ja gar nicht so dumm, wie alle Leute denken! Wenn man einfach immer nur vor sich hinsieht und alles langsam macht, denken die Leute, man kriegt nichts richtig mit – dabei lacht man manchmal still für sich über sie! Ich habe gewusst, dass ich John umbringen kann, ohne dass es jemand herauskriegt, ich hatte doch in dem Kriminalroman da gelesen, dass die Polizei feststellen kann, aus welcher Waffe eine Kugel abgefeuert worden ist. Und Sir Henry hatte mir ja an dem Nachmittag selbst gezeigt, wie man einen Revolver lädt und schießt. Ich musste zwei Revolver besorgen. Ich musste John mit einem erschießen und den verstecken, und dann musste ich dafür sorgen, dass mich alle mit dem anderen in der Hand finden. Dann würden alle zuerst denken, dass ich ihn erschossen habe, aber hinterher würden sie herausfinden, dass er mit dem Revolver gar nicht getötet worden sein kann, und dann mussten sie alle sagen, dass ich es doch nicht gewesen sein kann!«
Sie warf triumphierend den Kopf nach hinten.
»Ich hatte bloß das Lederding vergessen. Das war in meiner Nachttischschublade. Wie nennst du das? Halfter? Der interessiert doch die Polizei jetzt bestimmt nicht mehr!«
»Wer weiß«, sagte Henrietta. »Gib ihn lieber mir, ich nehme ihn mit. Sobald er nicht mehr in deiner Hand ist, bist du ganz sicher.« Sie setzte sich hin. Sie fühlte sich plötzlich unsagbar erschöpft.
»Du siehst aber gar nicht gut aus«, sagte Gerda. »Ich wollte gerade Tee machen.«
Sie ging hinaus. Als sie kurz danach wiederkam, trug sie ein Tablett mit einer Teekanne, einem Milchkännchen und zwei Tassen. Das Milchkännchen war übergeschwappt, es war zu voll gewesen. Sie stellte das Tablett ab, schenkte eine Tasse voll Tee und reichte sie Henrietta.
»Ach, du liebe Güte«, sagte sie unglücklich, »ich glaube, das Wasser hat gar nicht gekocht.«
»Das ist schon gut«, sagte Henrietta. »Jetzt hol diesen Halfter, Gerda.«
Gerda zögerte kurz, aber dann ging sie.
Henrietta legte die Arme auf den Tisch und den Kopf darauf. Sie war so müde, so entsetzlich müde. Aber jetzt war es fast erledigt. Gerda war in Sicherheit, genauso wie John es sich gewünscht hatte.
Sie setzte sich wieder aufrecht, schob sich die Haare aus der Stirn und zog die Teetasse zu sich. Ein Geräusch an der Tür
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