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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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und die ich demnächst erhalten sollte. Die anderen Männer hatten inzwischen auf russischen Walfängern angeheuert, wo sie mehr verdienten.
    Als der Schoner die Küste Spitzbergens erreichte, hieß mich die matt über den Bergen glitzernde Sonne in meiner alten Heimat der Fjorde willkommen. Ein Jahr war vergangen, seit ich die Station zum letzten Mal betreten und Abschied von Hansen, Brehm und den anderen Männern genommen hatte, um die Geschicke der Forschung von der Heimat aus zu lenken. Aus Hansens regelmäßigen Briefen wußte ich, was sich während meiner Abwesenheit auf der Insel zugetragen hatte. Mittlerweile legten die Schiffe einmal pro Woche an. Die Station war größer denn je, aber die Herausforderung, mit der die Besatzung zu kämpfen hatte, ebenfalls. Den Männern mangelte es nicht an Arbeit. Sie hatten mit der Erforschung des Schachts enorme Fortschritte erzielt, zumindest in technischer Hinsicht, doch die Frage lautete: Wie lange würde das alles noch gutgehen?
    Die Lage in Österreich-Ungarn war kritisch, aber angeblich noch stabil genug, sodaß wir unser Projekt nicht abbrechen mußten. Auch von Seiten der Investorengruppe bestand kein Grund zur Sorge. Ich hatte in den letzten Monaten alle Unternehmen besucht, um das Budget für das nächste Jahr unterzeichnen zu lassen. Die Finanzgruppe war mittlerweile zu einem unübersichtlichen Firmengeflecht angewachsen. Neben den Berliner Motoren-Werken und der Technischen Fakultät in Wien zählten in der Zwischenzeit auch das Physikalische Institut in Leipzig, die Hohenzoller Zahnradfabrik, die Faber-Elektrotechnik, sowie ein großes Unternehmen, das Lokomotiven und Gleisanlagen herstellte, zu unseren Geldgebern. Zuletzt hatte sich auch noch die Firma von Jan Hansens jüngerem Bruder an dem Projekt beteiligt. Der Walfänger hatte sich zuerst dagegen gesträubt, da er nichts mit seinem eitlen Bruder zu tun haben wollte, doch das Unternehmen von Carl Friedrich von Hansen war einer der kräftigsten Investoren – und wir hatten das Geld bitter nötig. Jedenfalls reiste ich nach Spitzbergen, um die Nachricht des Vorstandes persönlich zu überbringen. Sämtliche Eigentümer standen hinter uns – und ihr Auftrag lautete: weitermachen!
    Seit Gottfried Brehm vor zwei Jahren als Leiter des Projekts eingestiegen war und wir mit Elektromotoren, Stahlwinden und einer Gondel mit Rollbügel die ersten sechs Kilometer in den Schacht zurückgelegt hatten, war viel passiert. Wegen der steigenden Belastung war es uns nicht mehr möglich gewesen, den notwendigen Strom mit dem Generator zu erzeugen. Außerdem entpuppten sich die langen Kabel ab einer gewissen Tiefe als Problem. Sie wurden immer anfälliger, knickten leicht oder lösten sich aus den Verbindungen, so daß es oft zu Stillständen kam. Überdies waren die Männer in der Gondel immer von dem Stromgenerator an der Erdoberfläche abhängig, da sie die Fahrt nicht selbst von der Plattform aus steuern konnten.
    Daher hatten wir uns für eine neue Lösung entschieden, mit der wir den Schacht endlich zu bezwingen hofften. Es war ein einfaches, aber effizientes System, ähnlich einer Zahnradbahn. Der Käfig fuhr an einem im Fels montierten Schienenstrang in die Tiefe. Runter ging es ohne Motor, nur mit Hilfe der Schwerkraft, die wir uns zu Nutze machten. Ein handgesteuertes Getriebe, mit dem man bremsen konnte, sorgte für die nötige Geschwindigkeit. Sobald man aber den auf der Gondelplattform montierten Dieselgenerator anwarf, bewegten sich die Zahnräder in die andere Richtung, und die Gondel fuhr am Schienenstrang nach oben. So benötigten wir den Treibstoff nur für den Aufstieg. Zwar gab es die bekannten Abgasprobleme, aber da die giftigen Dämpfe sowieso schwerer wogen als Luft, wurden sie vom Fallwind nach unten gesogen. Trotzdem hatten wir sicherheitshalber an verschiedenen Kontrollpunkten Sauerstofflaschen angebracht, auf die wir aber bisher nicht zurückgreifen mußten.
    Mit dieser Technik hatten wir mittlerweile eine Tiefe von 64 Kilometern erreicht. Inzwischen konnten gleichzeitig bis zu drei Mann im Käfig an dem Schienenstrang ins Erdinnere fahren. Unnötig zu erwähnen, daß wir das Ende des Schachts immer noch nicht erreicht hatten. Ich fragte mich schon seit langem, ob wir überhaupt jemals unten ankommen würden. Sonst war nichts Aufregendes passiert. Die steinharten Felswände waren immer noch mit einem zähen, pechähnlichen Film überzogen, und der Durchmesser betrug weiterhin exakt drei Komma

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