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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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paarweise auf. In Brehm hatten sie die perfekte Mischung gefunden. Ich hielt den Atem an und beobachtete ihn. Er stellte den Zünder auf fünfzehn Sekunden und warf den Knallkörper ab. Wie vorausgesagt, hörten wir die Detonation nach siebzehn Komma zwei Sekunden, und zwar so laut, daß sogar Brehm zusammenzuckte.
    »Ein völlig harmloser Sprengkörper?« Ich blickte nach oben, da ich fürchtete, der Schacht könne zusammenbrechen, doch nichts dergleichen passierte.
    Trotz des Erfolgs schien Brehm von seinem Versuch enttäuscht. »Wir müssen uns an die genaue Tiefe herantasten«, stellte er nüchtern fest.
    Für den nächsten Test stellte er den Zeitzünder auf dreißig Sekunden und legte damit eine Tiefe von etwas über anderthalb Kilometer fest. Auch dieses Mal erreichte der Schall unsere Ohren zum berechneten Zeitpunkt, allerdings klang die Detonation bereits eine Spur leiser und entfernter. Bei einem auf eine Minute gestellten Zeitzünder, was einer Strecke von knapp dreieinhalb Kilometern entsprach, war die Explosion nur noch schwach zu hören und verklang in weiter Ferne. In diesem Moment wurde mir das wahre Ausmaß des Schachts bewußt. Mit einem Mal zweifelte ich daran, den gewaltigen Hohlraum mit ein paar Sprengsätzen restlos ergründen zu können. Wie sollten wir dieses Phänomen jemals beherrschen? Ein kurzer Blick zu Brehm bestätigte mir, daß auch der Deutsche nicht damit gerechnet hatte, mit einer derartigen Tiefe konfrontiert zu werden.
    »Ich gebe es ungern zu«, murmelte er, »aber mir gehen sowohl die Materialien, als auch die Methoden zur exakten Bestimmung der Länge aus.« Er nahm die beschlagene Brille ab, drehte sie in der Hand und starrte mit seinen kleinen Augen zunächst mich an und danach in den Abgrund. Schließlich kniete er vor der Kiste mit der Ausrüstung nieder, um darin herumzukramen. »Wir müssen die Lautstärke der Detonation erhöhen.« Er wickelte eine Schnur um drei Sprengkörper und montierte den Zeitzünder daran.
    Ich atmete schwer. Je länger ich darüber nachdachte, über welch schwindelerregendem Abgrund wir an dem Stahlseil baumelten, desto schneller schlug mein Herz. Ich kämpfte eine erneute Panikattacke nieder. »Auf wie lange stellen Sie den Zünder ein?« fragte ich, um mich abzulenken.
    »Ich schlage vor, wir setzen alles auf eine Karte und unterwerfen die Sprengsätze zwei Minuten lang dem freien Fall. Hören wir nichts, erfolgte die Detonation entweder in zu großer Entfernung, oder der Zeitzünder ging beim Aufprall zu Bruch. Aber falls das Experiment gelingt …« Wiederum blickte er auf seine Skala, »… detoniert die Sprengladung sieben Kilometer unter uns. Danach würde der Schall einundzwanzig Sekunden zu uns benötigen. Beginnen wir.« Brehm lächelte schwach. Wenn er wollte, konnte er sehr wohl menschliche Regungen zeigen.
    Nachdem er alles vorbereitet hatte, starrte er auf die Taschenuhr, um das Bündel zum richtigen Zeitpunkt abzuwerfen. Die Sprengkörper fielen, die Uhr begann zu ticken. Lange Zeit herrschte Stille, in der wir gespannt auf ein Geräusch lauschten.
    »Zwei Minuten«, flüsterte Brehm. »Jetzt müßte der Knall erfolgen.«
    Weitere Sekunden verstrichen ohne jegliches Geräusch, in denen der Schall, wie wir hofften, zu uns empordrang.
    »Zehn Sekunden.«
    Wie hypnotisiert starrte auch ich auf den Sekundenzeiger der Uhr. In Gedanken zählte ich mit.
    … fünfzehn … sechzehn … siebzehn …
    Bei zwanzig hielt ich den Atem an. Im nächsten Augenblick war ein weit entferntes, kaum wahrnehmbares Geräusch zu hören, als krache ein leises Gewitter hinter einer massiven Gebirgskette. Lange noch waren die dumpfen Nachwehen zu hören, ehe es wieder vollkommen still wurde.
    Sprachlos wankte Brehm zurück und sackte auf einer Kiste zusammen. »Unglaublich.« Er ließ den Arm mit der Taschenuhr sinken. »Wissen Sie, was das bedeutet? Die Detonation erfolgte im freien Fall in sieben Kilometern Entfernung. Einschließlich der Tiefe, in der wir uns jetzt befinden, führt der Schacht also mindestens dreizehn Kilometer in die Erde.«
    »Dreizehntausend Meter… und dennoch bleibt uns das wahre Ausmaß unbekannt«, wiederholte ich. »Da hätten wir ein Leben lang Eisenstreben in den Fels schlagen können.« Wie lange hätten wir benötigt, um da mit Händen und Füßen hinunterzuklettern? Plötzlich drehte sich mir alles. In Gedanken kippte der Schacht um hundertachtzig Grad, ich taumelte über die Plattform und drohte kopfüber aus der Gondel zu

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