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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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    *
     
    Stunden später saß ich neben Hansen auf der Bank vor der Station. Der Abend war lau, und die Plusgrade ließen die Schneedecke knistern und knacken. Wir blickten in die Bucht. Es war windstill und das Meer so glatt wie ein Blatt Papier. Kapitän Andersons Schiff war längst wieder auf hoher See.
    »Auf deine Hochzeit!« Der Walfänger prostete mir zu, worauf er die Flasche mit einem kräftigen Schluck leerte. Offensichtlich hatte sich Brehms Alkoholverbot ziemlich gelockert, denn Hansen öffnete eine zweite Weinflasche, die ebenfalls aus der Vorratskammer stammte.
    »Und darauf, daß du Onkel geworden bist«, erinnerte ich ihn.
    »Pah! Der feine Pinkel soll zur Hölle fahren!« Hansen rülpste.
    »He, sachte …«, beruhigte ich ihn. »Immerhin steckt dein Bruder einen gewaltigen Batzen Geld in unsere Arbeit.«
    »Aber nicht, weil wir so nette Burschen sind, das ist dir doch hoffentlich klar!« Hansen nahm einen weiteren Schluck. »Er verspricht sich Ergebnisse für die Waffenindustrie, da steckt er dick drin.«
    »Feiner Pinkel hin oder her – jedenfalls ist Carl Friedrich von Hansen Vater geworden, was dich zum Onkel macht – auf den Nachwuchs!«
    »Von mir aus.« Hansen trank wieder einen Schluck, und diesmal nippte auch ich an der Flasche.
    »Wann ist es bei dir soweit?« fragte er nach einer Weile.
    Bei mir? Ich dachte an Kathi, meine schwarzhaarige Schönheit, die auf den Wiener Bühnen einen Erfolg um den anderen feierte. Wir hatten vor vier Wochen geheiratet. Sie war erst vierundzwanzig Jahre alt, sechs Jahre jünger als ich, und so eine junge Frau hatte es nicht eilig, Kinder zu bekommen. Außerdem saß ich die nächste Zeit in Spitzbergen fest. Da sie am Burgtheater die Rolle des Gretchens in Goethes Faust spielte, und die Aufführung bis in den Herbst dauerte, sah ich sie möglicherweise erst danach wieder. »Ich weiß es nicht …« Plötzlich mußte ich schmunzeln.
    Hansen blickte auf. »Was ist?«
    »In der Hochzeitsnacht sagte sie mir, daß Kathi Berger blöd klinge.«
    »Alexander Berger klingt noch blöder.« Hansen grinste. »Du weißt, wie ich es meine …«
    »Jedenfalls bestand sie darauf, ab sofort Katharina Berger genannt zu werden.«
    »Das hat Stil.« Hansen nickte. »Wie geht es deiner Pumpe?« Er schlug sich mit der Faust auf den mächtigen Brustkorb.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Ich soll mich schonen, das ist alles. Keine Fahrten in den Schacht; den müßt ihr weiterhin allein erkunden.« Ich schwieg eine Weile, während der auch Hansen stumm blieb. Bisher hatte der Walfänger kein einziges Wort über die aktuelle Tiefe der Gondel verloren, und ich war noch nicht dazu gekommen, mit Brehm oder einem der Erdfahrer zu sprechen. Ja, ich hatte mir noch nicht einmal einen Überblick verschafft, wer im Moment in der Station arbeitete. Da Hansen nicht auf meine Anspielung reagierte, sprach ich ihn direkt darauf an. »Wie tief seid ihr?«
    Er wich meinem Blick aus, spuckte über die Klippen und zog sich die Wollmütze vom Kopf, um sie in der Hand zu kneten. Kein gutes Zeichen!
    »Wie tief seid ihr?« wiederholte ich.
    »Während du weg warst, haben wir geschuftet wie die Hunde. Es war unvorstellbar. Die Männer fuhren abwechselnd eine Tag- und eine Nachtschicht. Obwohl Brehm ständig dafür sorgte, daß wir Nachschub erhielten, wurden sogar einmal die beiden Dieseltanks leer, und zweimal gingen uns die Gleisstücke aus. Wir mußten die Löcher selbst in die Ersatzschwellen fräsen.«
    »Wie tief?«
    »Wir haben die siebzig-Kilometer-Grenze überschritten.«
    Mein Blick hellte sich auf. »Siebzig Kilometer! Und du sagst nichts?«
    Hansen blieb stumm. Er wiegte nur den Kopf. »Eigentlich müßten wir bereits die Magmazone angefahren haben, doch weit und breit ist kein Funke zu sehen. Wir haben sogar einen horizontalen Tunnel in die Schachtwand gebohrt. Aber der Fels wurde immer härter, je tiefer wir uns hineinarbeiteten. Nach fünfzig Zentimetern wurde der Stein so hart, daß sich die Bohrköpfe verbogen – sogar die besten, die wir aus Berlin bekommen konnten.«
    »Und wenn wir …«
    »Alexander, die Felswand wird immer härter, je tiefer wir nach unten kommen!« unterbrach mich Hansen. »Wenn das so weiter geht, können wir nicht einmal die Bolzen reinschlagen, um die Schienen zu befestigen. Dieser vermaledeite Schacht …« Er spuckte aus. »Ab dem einunddreißigsten Kilometer bleibt die Temperatur konstant auf 9,87 Grad. Es wird nicht wärmer, aber auch nicht

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