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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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vierzehn Meter – andernfalls hätte die Idee mit dem Schienenstrang nicht funktioniert. Die letzten Eulennester, noch dazu von enormem Ausmaß, hatten wir in einer Tiefe von fünfzig Kilometern entdeckt, danach waren auch sie verschwunden. Das alles wußte ich von Hansens Nachrichten. Merkwürdigerweise hatte er in seinen letzten Briefen, die von Mal zu Mal kürzer wurden, nichts mehr über die Tiefe geschrieben. Vermutlich hatte sich auf der Station nichts Erwähnenswertes ereignet, oder Hansen war zu beschäftigt, um ausführliche Berichte zu verfassen. Schließlich war er noch nie ein Mann vieler Worte gewesen. Jedenfalls würde ich den Grund für sein Schweigen schon bald herausfinden.
    Während das Schiff in den Hornsundet-Fjord segelte, fragte ich mich, was es wohl für ein Gefühl sein mochte, wieder in den Schacht zu blicken, den Luftzug zu spüren und den Schwefelgeruch einzuatmen? Da ich mich im letzen Jahr auf die organisatorischen Arbeiten beschränkt hatte, die ständig zunahmen und in einer Flut von Bürokratismen unterzugehen drohten, hatte ich schon lange keine Gondel mehr betreten. Diese Aufgabe blieb Brehm, Hansen und den Schachtarbeitern vorbehalten. Außerdem hatte ich den Wiener Arzt Dr. Weber konsultiert, einen Spezialisten und Kollegen meines Vaters. Dieser hatte ein Herzleiden an mir festgestellt. Offenbar war eine Herzkammer deformiert und nicht mehr voll leistungsfähig. Ich merkte es, sobald ich Treppen stieg oder mich bückte, um mir die Schnürsenkel zu binden. Vermutlich war der Herzfehler angeboren, denn mein Großvater, der mir als Junge von den Nordpolfahrten der friesischen Seeleute erzählt hatte, war im Alter von sechzig Jahren an diesem Defekt gestorben. Andererseits könnte das Herzleiden auch durch die Belastung meiner früheren Aufenthalte im Schacht verursacht worden sein, die mir immer mehr zu schaffen gemacht hatten, je tiefer ich nach unten vorgedrungen war. Um nicht als Angsthase dazustehen, hatte ich dem Arzt allerdings meine klaustrophobischen Anfälle verschwiegen. Wie gelegen kam mir da der sogenannte Bürokram, der auch erledigt werden mußte, wie Protokolle auswerten, schriftliche Anfragen beantworten, mit dem Vorstand neue Pläne ausarbeiten, Berechnungen und Kalkulationen erstellen, Verträge mit der Investorengruppe abschließen oder die üblichen Mitarbeitergespräche mit den Erdfahrern führen, wie Brehm die norwegischen Schachtarbeiter nannte. Die Zeit, in der gut bezahlte deutsche Ingenieure den Bau leiteten, war längst vorüber. Das Geld war knapp, und mittlerweile bestand die Truppe aus hartgesottenen Männern, die verrückt genug waren, für ein Butterbrot in einer Gondel in die schwindelerregende Tiefe hinabzufahren. Vieles war nur von Wien, Berlin, Leipzig oder Tromsø aus zu erledigen gewesen, weshalb ich der Insel ein Jahr lang ferngeblieben war. Am Abend war ich meist zum Umfallen müde ins Bett gekrochen, ohne noch einmal Hansens Briefe zu lesen oder Kathi einen Gutenachtkuß zu geben. Vor lauter Arbeit konnte ich nicht einmal mein junges Eheglück genießen. Aber ich wußte, es würden auch einmal andere Zeiten kommen.
    Das Kreischen einer Möwe riß mich aus den Gedanken. Die Matrosen holten bereits das Segel ein. Beim Anblick der hohen Klippen schlug mein Herz schneller. Von weitem sah ich bereits die Bucht und den Fahnenmast der Station. Wie vertraut mir doch alles war. Der Anlegeplatz, die Stätte für das Lagerfeuer oder die Steilküste mit den Serpentinen, die zur Teufelsebene führten. Wehmütig betrachtete ich Harpuns Grab, einen grauen Steinhaufen mit einer Fahnenstange und einem vermoderten Holzkreuz. Hier schien sich nicht viel verändert zu haben. Bloß eine Holzhütte in der Nähe des Stegs war dazugekommen – bestimmt Brehms Idee – eine sinnvolle Neuerung, damit die ankommenden Gäste nicht so lange in der Kälte warten mußten, ehe sie abgeholt wurden.
    Als der Schoner an den Holzplanken der Mole scheuerte und die Ankerkette ins Meer rasselte, sprang ich als erster auf den Steg, der zum Land führte. Die Matrosen warfen mir meinen Seesack über die Reling. Da erstarrte ich in der Bewegung. Jan Hansen, mit zotteligen, gelben Haaren, einer Wollmütze und dem Banjo auf der Schulter, humpelte aus der Hütte. Er hob eine Krücke, um zu winken. Sein gelber Backenbart leuchtete golden im Sonnenlicht. Was war er doch für ein verrückter Kerl! Rasch lief ich über die Mole, um den alten Freund in die Arme zu

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