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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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wollte.
    Hansen strich sich durch den Bart. »Ich kann es dir nicht erklären. Du müßtest es selbst erleben. Die Stimmung, die Geräusche, einfach alles. Wenn ich unten bin, spiele ich schon lange nicht mehr mit dem Banjo. Ab Kilometer siebenundsechzig klingen die Töne merkwürdig verzerrt. Ich kann es dir nicht beschreiben. Wenn ich Kilometer neunundsechzig passiere, beginnt mein Herz zu rasen. Mein Mund trocknet aus, ein beklemmendes Gefühl packt mich, mein gesamter Körper zittert, aber nicht äußerlich, sondern von innen.« Er faßte sich an die Brust.
    Ich versteifte mich. »Und Brehm ist jetzt allein da unten?«
    »Er wollte es so.«
    »Das ist doch völlig egal. Wir sollten ihn raufholen!«
    »Das geht nicht«, widersprach Hansen. »Der Käfig läßt sich nur von der Plattform aus bedienen.«
    »Dann müssen wir mit der zweiten Gondel zu ihm runterfahren, um ihn nach oben zu holen. Mein Gott, drei Tage! Wenn dort unten etwas ist, das …«
    »Dort unten ist nichts. Es ist der Schacht selbst!« unterbrach Hansen mich. Er erhob sich und humpelte mit den Krücken einige Meter auf die Steilklippe zu. »Die Männer spüren es auch. Sobald sie sich länger dort unten aufhalten, sind sie wie ausgewechselt.«
    Im Moment wußte ich noch nicht, was ich davon halten sollte, da alles, was ich bisher gehört hatte, jeder Logik widersprach. Doch stand die Existenz des Schachts nicht ebenfalls jeder Logik entgegen? Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinem Magen aus. Ich hatte schon vor langer Zeit bemerkt, daß etwas mit dem Schacht nicht stimmte, doch hatte ich die Panikattacken und klaustrophobischen Anfälle meinem Gemüt und meiner Furcht zugeschrieben, über die ich bisher mit noch niemandem gesprochen hatte. Und nun gab der rauhe Walfänger seine Angst offen zu – ausgerechnet jener Mann, der weder Tod noch Teufel fürchtete. Doch ich wußte, etwas mußte noch vorgefallen sein, denn so leicht ließ sich Hansen nicht ins Bockshorn jagen.
    »Was ist dort unten passiert?« fragte ich ihn.
    Nach einer Weile drehte er sich um und fixierte mich. »Wir standen in siebzig Kilometer Tiefe auf der Plattform. Von dort ließen wir einen Husky im Korb an einem dreihundert Meter langen Drahtseil hinunter, um die Druckveränderung zu testen. Der Hund begann fürchterlich zu winseln. Er gab unbeschreibliche Laute von sich, so etwas habe ich noch nie gehört, als würde er in einer Metallpresse bei lebendigem Leib langsam zerquetscht. Als wir ihn wieder raufholten, mußten wir ihn töten.«
    Ich sprang auf. »Ihr habt das Tier getötet?«
    »Was sollten wir denn tun? Sein Fell löste sich vom Körper! Den Rest riß sich der Hund selbst vom Leib. Darunter schälte sich die Haut ab. Wir mußten seine Wunden erst säubern, bevor wir ihm einen Verband anlegen konnten. Und während wir versuchten, das Tier zu beruhigen, lösten sich seine Pupillen auf. Wir konnten zusehen, wie sie zerflossen. Die Augen wurden zunächst weiß, danach völlig schwarz!«
    Mir verschlug es die Sprache. »Vielleicht war der Hund krank, es könnte …«
    »Das dachten wir zunächst auch, daher haben wir es zwei weitere Male versucht!« Anstelle einer ausführlicheren Antwort deutete Hansen hinter die Station, wo sich die Hundezwinger befanden.
    Ich drehte mich um und sah, wohin Hansen zeigte. Neben dem Zwinger erhoben sich drei Hügel unter dem Schnee, die mir bislang nicht aufgefallen waren. Ich atmete tief durch, um die Bilder loszuwerden, die mir durch den Kopf jagten. Ich hatte die Taschen voller Zusagen und finanzieller Mittel für ein weiteres Forschungsjahr. Aber wie konnten wir unter diesen Umständen weitermachen? Sollten wir mit dem Geld den Tod weiterer Hunde finanzieren? Solange ich die Verantwortung für dieses Projekt trug, hatte ich mir geschworen, daß es keine weiteren Todesfälle geben würde. Aber wie es im Moment aussah, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir den ersten Menschen neben den Hunden begraben würden. Da ich wußte, wie sensibel Hansen auf dieses Thema reagieren konnte, wählte ich meine Worte mit Bedacht. »Ich möchte dir und Brehm nur ungern dreinreden, denn ihr habt sicher Großartiges geleistet, aber vielleicht sollten wir die Forschung an dieser Stelle vorerst abbrechen.«
    »Herrgott, Alexander! Es waren doch nur Hunde!« entfuhr es Hansen. »Und du willst den Schacht gleich aufgeben?«
    »Ich sagte vorerst.«
    »Verdammt!« Hansen packte eine Krücke und schleuderte sie zu Boden. »Ich wußte, daß du das

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