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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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Schau dich doch um! Bisher hat das niemand unbeschadet überstanden. Merkst du nicht, daß in der Station ein religiöser Wahn entsteht? Jeder faselt etwas von Schattenwellen und der Hölle. Wir beide haben unsere Reise nach Spitzbergen als wissenschaftliche Expedition begonnen. Und wo sind wir gelandet? Wir sind umgeben von dem Aberglauben einer verrückt gewordenen Mannschaft. Ich werde dem Ganzen ein Ende setzen!« Zischend stieß ich die Luft aus den Lungen.
    »Ausgerechnet jetzt, wo Brehm tot ist.« Hansen schüttelte den Kopf. »Gerade jetzt dürfen wir nicht aufgeben. Wir brauchen dringend Ergebnisse! Wir müssen alles auf eine Karte setzen.«
    »Alles auf eine Karte zu setzen bedeutet, dort unten zu sterben – so wie Brehm! Ich verbiete dir, runterzugehen!«
    »Du willst mir etwas verbieten?« Hansen lachte.
    So hatte ich ihn noch nie erlebt. Er trieb mich noch in den Wahnsinn. »Das Projekt ist endgültig beendet. Verstehst du nicht? Die Verluste sind zu groß«, versuchte ich erneut, ihn zur Vernunft zu bringen.
    »Erzähl mir nichts von Verlusten.« Wütend stapfte er mit der Krücke auf den Bretterboden. »Ich habe mein Bein auf dieser Insel verloren. Dieser verdammte Schacht ist mir noch etwas schuldig. Und ich werde ihn bezwingen!«
    »Der Schacht wird dich bezwingen!«
    »Morgen werde ich es herausfinden. Ich gehe mit einem Freiwilligen runter.«
    »Niemals!«
    »Wie willst du es verhindern? Die Männer losen im Kasino gerade aus, wer morgen dran ist.«
    Ich hatte Hansens Sturheit unterschätzt. Stumm starrte ich ihn an. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drängte ich mich an ihm vorbei und marschierte ins Kasino. Es wurde Zeit, daß ich dem Irrsinn endgültig ein Ende setzte, bevor er ein Eigenleben entwickelte und auf der Station alles aus dem Ruder lief.
    Bereits zum zweiten Mal an diesem Tag betrat ich das Kasino. Eine abgestandene, brütende Hitze schlug mir entgegen. Wie immer saßen Gjertsen, Marit, Nilsen, Björn und Rönne um einen Tisch. In der Mitte stand ein Krug. Alle – bis auf Gjertsen – tranken Whisky. Eine Menge auf den Kopf gestellter Gläser stapelte sich übereinander zu einer Pyramide. Die nackten Oberkörper glänzten vor Schweiß. Jemand hatte den Ofen im Raum zum Bersten mit Briketts vollgestopft. Hitze und Alkohol ergaben eine tödliche Mischung, die mir die Kehle zuschnürte. Ich konnte förmlich die Angst und den Schweiß der Männer riechen. Ich wollte ihnen etwas sagen, brachte aber nur ein Krächzen heraus. Da sah ich, daß Gjertsen eine Schußwaffe in der Hand hielt. Bestimmt war es Rönnes Armeerevolver aus der Fremdenlegion. Der Norweger hob den dürren Arm und zielte mit dem Lauf direkt auf mich. Durch den Dunst im Raum sah ich nur das Stahlrohr, die verstellbare Kimme und das Korn der Waffe – alles andere war wie ausgeblendet. Mir versagten die Glieder. Es war wie in einem Alptraum. Gjertsens Hand zitterte. Beinahe schien es, als wiege der Revolver zu schwer.
    Ich erstarrte, als Gjertsen ein Auge zukniff, den Hahn spannte und den Finger auf den Abzug legte. Der Norweger verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. Sein zahnloser Mund wirkte wie ein Schlund. Danach hielt er sich den Revolver für einige Sekunden an die eigene Schläfe. Aber erst als er den Lauf herunternahm und auf die Holzdielen zielte, drückte er ab.
    Klick!
    Gjertsen lachte lauthals auf, während er die Waffe an Nilsen weiterreichte. Der Hüne nahm den Revolver mit der linken Hand, an der ihm ein Fingerglied fehlte. Zunächst hielt er sich den Lauf symbolisch an den Kopf, um danach ebenfalls auf den Boden zu zielen und abzudrücken.
    Klick!
    Mit einem Mal wußte ich, was hier gespielt wurde. Demjenigen, dem die Kugel den Schädel zerschmettert hätte, sollte noch eine Chance zuteil werden … und zwar, in den Käfig zu steigen, hinabzutauchen in die Finsternis, in der Hoffnung, nach drei Tagen wieder heil oben anzukommen. Es war die makabere Art der Erdfahrer, russisches Roulette zu spielen.
    Mein Herz schlug bis zum Hals. »Jetzt ist endgültig Schluß damit!« rief ich.
    Nilsen murmelte etwas, das ich nicht verstand, während er die Waffe an Rönne weiterreichte.
    »Hört auf!«
    Rönne ließ sich nicht beirren. Er zielte direkt auf den Boden und drückte ab. Ich fuhr zusammen, als sich ein Schuß aus der Waffe löste und eine Diele splitternd auseinanderbrach. Augenblicklich verstummten die Männer. Björn strich sich über die Glatze, Nilsen schloß für einen Moment die Augen. Der

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