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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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kommen konnte. Wie auch immer. Ich würde die Wahrheit wohl nie erfahren – und das war dem jungen Norweger vermutlich gar nicht einmal so unrecht. Jedenfalls würde er mit dieser Akte sicher in einem Tromsøer Armengrab beerdigt werden.
    Da ich nun über Rönnes verbliebenen Lohn frei verfügen konnte, packte ich das Geld in einen braunen Umschlag. Kurze Zeit später klopfte ich an die Tür des Hundezwingers.
    Marit öffnete das Gatter. Offensichtlich hatte sie geweint, da ihre Augen gerötet und die Lider verquollen waren. Sogleich eilten die drei Huskies herbei und strichen ihr um die Beine.
    »Es ist zwar nicht viel, aber vielleicht genügt es als Startkapital, falls Sie Norwegen verlassen wollen.« Ich drückte ihr das Geld in die Hand.
    Wortlos nahm sie es.
    »Sie müssen ein neues Leben beginnen«, sagte ich, bevor sie die Tür schließen konnte.
    »Falls wir überhaupt jemals wieder von dieser Insel runter kommen.« Sie sah mich für einen kurzen Augenblick an, danach schloß sie das Gatter. Ich hörte, wie sie einen Balken vorlegte.
    Ich wußte nicht, was mit dieser Station passierte. Anscheinend ging eine namenlose Angst um, die wie ein Geist durch die Räume schlich, um sich in die Köpfe der Mannschaft einzunisten. Um Hansen machte ich mir die meisten Sorgen. Aus diesem Grund suchte ich am Nachmittag Björn im Kasino auf. Er war der Kräftigste in der Station. Darüber hinaus machte der glatzköpfige Muskelprotz mit den auf den kahlen Schädel tätowierten Namen Dutzender Frachter einen verläßlichen Eindruck auf mich. Zum Glück war Hansen nicht anwesend, so daß ich offen mit Björn reden konnte.
    »Ich möchte, daß Sie in der Nacht die Gondel bewachen, damit niemand runterfährt.«
    Er kippte ein Glas Whisky, erst danach sah er mich an. »Es ist wegen Hansen, nicht wahr?«
    Ich nickte. »Björn, Sie müssen mir helfen. Bleiben Sie diese Nacht nüchtern. Ab jetzt darf niemand mehr in den Schacht. Morgen, wenn der Sturm etwas nachgelassen hat, tragen wir eine Holzhütte ab und verbarrikadieren mit den Brettern den Schacht. Wenn Ihr Bruder mir dabei hilft, können Sie sich ausruhen. In drei Tagen kommt das Schiff, danach reisen wir ab.«
    Björn nickte. Er stöpselte die Flasche zu und schob sie demonstrativ von sich. Ich wußte, ich konnte mich auf ihn verlassen. Mehr gab es für mich im Moment nicht zu tun. Ich saß den restlichen Abend in meiner Kammer, lauschte dem Sturm und brütete vor mich hin. Da sich die Kopfschmerzen wieder bemerkbar machten, spülte ich zwei Tabletten mit einem Glas Wasser hinunter. Anschließend ging ich zu Bett, um mich von den letzten beiden schlaflosen Nächten zu erholen.
    Während ich auf der Matratze lag und zur Decke starrte, hörte ich das Kreischen der Schneeeule. Die Geräusche wurden immer lauter. Schließlich hörte ich ein Trippeln auf dem Dach. Der nächste Schrei erfolgte in unmittelbarer Nähe und ging mir durch Mark und Bein. Ich hatte diese Töne schon lange nicht mehr gehört, hatte sie tatsächlich vergessen, doch jetzt kam die Erinnerung zurück. Unwillkürlich dachte ich an Shakespeares Lady Macbeth.
     
    - Still, horch! -
    die Eule war’s, die schrie, der traur’ge Wächter,
    die gräßlich gute Nacht wünscht.
     
    In jener Nacht ermordete Macbeth den König. War das Kreischen der Eule tatsächlich ein böses Omen? Begann ich selbst schon an dem Aberglauben festzuhalten? Nein, es war nur ein Vogel, brachte ich mich zur Vernunft … nur ein Vogel.
    Irgendwann mußte ich eingeschlafen sein. Ich träumte von blinden, verkrüppelten Eulen, die in der Dunkelheit tief unter der Erde ihre eigenen Jungtiere in den Nestern fraßen und deren halb verdautes Federkleid ausspien. Langsam und leise schlich sich jedoch das Dröhnen des Dieselgenerators in meine Träume, das immer aufdringlicher wurde. Plötzlich war ich hellwach.

 
VIERZEHNTES KAPITEL
     
     
    S chweißgebadet und mit offenen Augen saß ich im Bett und starrte zur Tür. Der Generator tuckerte – und zwar jenes Gerät, das den Strom für das Schachtlicht produzierte. Ich hörte es am scheppernden Klang. Weshalb zum Teufel ließ Björn die Maschine mitten in der Nacht laufen? Eilig sprang ich aus dem Bett.
    Während ich in meine Jacke schlüpfte, fiel mir der penetrante Dieselgestank auf, der sich in der Kammer eingenistet hatte. Ich blickte auf die Taschenuhr: ein Uhr nachts. Fuchsteufelswild wollte ich die Tür aufstoßen, doch sie klemmte. Normalerweise ging sie nach außen auf, aber jemand

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