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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gruber
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hatte von draußen einen Keil unter den Türspalt geschoben. Zu versuchen, die Tür einzutreten, wäre völlig sinnlos gewesen. Das Holz und die Scharniere waren zu stabil. Bei dem Versuch würde ich mir höchstens die Schulter brechen. Kurzerhand nahm ich den einzigen Stuhl im Zimmer und schlug ihn mehrmals auf den Boden, bis er splitterte. Hastig schob ich die abgebrochene Rückenlehne unter den Türspalt, benutzte sie als Hebel, und stemmte damit die Tür aus den Angeln.
    Krachend polterte sie in den Korridor. Durch den Lärm schlugen die Huskies im Hundezwinger Alarm.
    Keuchend und schweißnaß trat ich in den Gang. Hier war der Dieselgeruch noch schlimmer. Auf dem Weg zum Schachtraum hörte ich, wie Gjertsen in seiner Kammer gegen die Tür pochte. Ich schlug mit dem Fuß die Keile unter seiner und Nilsens Tür heraus und lief sogleich weiter.
    Im Schachtraum stank es fürchterlich nach Diesel. Der Generator ratterte tatsächlich. Die Ersatzgondel für den Parallelbetrieb hing aufgezurrt an der Decke des Raumes, doch die Hauptgondel fehlte. Ich wußte, was das bedeutete. Eilig beugte ich mich über die Balustrade und starrte in das Loch. Die alle fünfzig Meter an der Schachtwand angebrachten winzigen Sturmlichter brannten. Irgendwann einmal verloren sie sich in der Dunkelheit. Insgesamt eintausendvierhundert Lampen. Falls nur ein einziges Kabel riß, was häufig vorkam, war die Stromzufuhr unterbrochen, und der Schacht lag in absoluter Dunkelheit.
    »Björn!« Ich sah mich um. »Wo zum Teufel …?«
    Ich verstummte, als ich den Norweger fand. Das Licht der Öllampe spiegelte sich auf seiner Glatze. Er saß reglos auf einem Stuhl. Wie ein Speer ragte der Stiel des Spatens aus seinem Körper. Das Metallblatt steckte bis zum Schaft in seiner Kehle und im Brustbein. Das konnte nur Hansen gewesen sein. Er mußte ihm das Werkzeug mit unvorstellbarer Kraft in den Körper getrieben haben.
    »Dieser verfluchte Idiot!« Ich wollte einen Schritt auf Björns Leiche zugehen, doch überall war Blut. Der Stuhl schwamm richtiggehend in einem See. Ich kniete nieder und tauchte den Finger in die Lache. Bestimmt war das Blut schon vor ein oder zwei Stunden geronnen. So lange mußte Hansen bereits mit der Gondel in die Tiefe fahren.
    Im nächsten Moment kam Gjertsen neben mir zum Stehen. Auch Marit stürzte in den Raum.
    »Jemand hat die Dieseltanks geöffnet. Der ganze Treibstoff ist im Schnee versickert«, keuchte sie. »Was ist passiert?«
    »Hansen ist runtergefahren«, stellte ich fest.
    Sprachlos sahen mich die beiden an.
    Ich dachte fieberhaft nach. Noch hatte Hansen mit der Gondel nicht das Ende des Gleisstrangs erreicht. Für die komplette Erdfahrt würde er sieben Stunden benötigen, für den Aufstieg weitere neun. Doch während dieser Zeit gab es für mich keine Möglichkeit, ihn zu erreichen. Ich konnte ihm nicht einmal die Energiezufuhr unterbrechen, geschweige denn die Gondel umdirigieren und wieder nach oben fahren lassen, da sich der Dieselmotor, der den Käfig antrieb, auf seiner Plattform befand. Mit zwei Dieselfässern konnte man den Viertaktmotor neun Stunden lang betreiben, was für die Retourstrecke einer kompletten Erdfahrt reichte. Der Motor trieb die Zahnräder an, und die Gondel ratterte über die Einkerbungen der Schienen nach oben.
    Marits Räuspern riß mich aus den Gedanken. »Ist jemand mit ihm runtergegangen?« fragte sie.
    Ich blickte mich um. Nilsen blieb als Einziger übrig. Doch er kam nicht in Frage, denn er hatte Hansen wohl kaum dabei geholfen, seinen eigenen Bruder mit dem Spaten zu ermorden.
    »Er ist allein …« Kaum hatte ich den Satz zu Ende gesprochen, betrat der mächtige Nilsen den Raum. Ich stellte mich ihm in den Weg.
    »Geh nicht weiter!« befahl ich, doch es war zu spät. Er hatte seinen Bruder bereits entdeckt.
    Kraftvoll stieß er Gjertsen und mich zur Seite, trat in die Blutlache und packte Björn an den Schultern.
    »Wer war das?« brüllte er. »Wer war das?« Der Hüne fuhr herum. Mordlust blitzte in seinen Augen. Er sah uns der Reihe nach an, dann fiel sein Blick zum Schacht. »Hansen …«, keuchte er. »Dieser vermaledeite Bastard. Wo ist er? Ich bringe den Hund um!«
    »Das macht er gerade selbst«, antwortete Gjertsen.
    Nilsen stürzte zum Schacht und starrte über die Brüstung nach unten. Mit zitternden Händen umklammerte er das Eisengatter. Aus seinen Unterarmen traten die Adern hervor. Am liebsten wäre er wahrscheinlich hinterhergesprungen. Doch bevor er etwas

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