Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
Vom Netzwerk:
unterbrechen. So geht es dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr, ohne Unterbrechung oder freie Tage, ohne Urlaub und ohne die Aussicht auf nur einen einzigen Tag mit einem anderen Ablauf. Sie haben absolutes Schweigen gelobt. Sie sprechen nie miteinander, sehen einander nicht an, tauschen keinerlei Empfindungen oder Zeichen der Zuneigung aus. Man könnte sie für Gespenster halten, die stumm durch ihr Kloster wandeln, so alt wie die Welt. Angesichts dieser Bedingungen kam es nicht selten vor, dass eine von ihnen den Verstand verlor, wenn sie in ihrer Zelle den Wind heulen hörte. Gerüchten zufolge brachte man solche Schwestern in die tiefsten Räume des Klosters und schloss sie dort in Zellen mit gepolsterten Türen ein, wo ihre Schreie hinter dicken Mauern ungehört verhallten.
    Andere Schwestern, die außer den üblichen Gelübden auch noch das der Finsternis abgelegt haben, leben in Räumen unter der Erde, in die nie ein Lichtstrahl dringt und wo nie eine Kerze angezündet wird. Es heißt, dass ihre Augen – manche von ihnen leben bis zu vierzig Jahre unter diesen Bedingungen – ebenso weiß geworden sind wie ihre Haut. Es sind alte, dürre und von Schmutz starrende Frauen, die in ihrer dunklen Abgeschiedenheit geduldig auf ihren letzten Atemzug warten. Maria spürt, wie Beklemmung ihr den Magen zusammenzieht: Dorthin will sie.

4
    Das Navigationsgerät teilt ihr mit, dass sie ihren Bestimmungsort erreicht hat. Es wäre ohnehin nicht weiter gegangen, denn sie befindet sich jetzt am Ende einer Sackgasse. Sie stellt den Wagen ab und sieht zu dem schweren hölzernen Portal hin, das sich im Scheinwerferlicht abzeichnet. Es sitzt in einer Mauer aus Steinen, von denen sie annimmt, dass man sie aus der Felswand herausgebrochen hat. Sie lässt den Blick an dieser Felswand emporwandern und erkennt durch das dichte Schneetreiben oben weitere Mauern. Vermutlich liegt hinter dem Tor eine Treppe, die über die Felsen nach oben zum Kloster führt. Eine kleine Gitteröffnung in diesem Tor dürfte die einzige Verbindung der dort lebenden Nonnen zur Außenwelt sein, der sie entsagt haben. Dahinter beginnt das Mittelalter.
    Maria schaltet die Scheinwerfer aus, und sofort liegt alles um sie herum in vollständiger Dunkelheit. Der Schnee fällt lautlos, der Wind pfeift … Sie schaltet das Radio ein und drückt auf den Knopf für den Suchlauf; sie möchte eine menschliche Stimme hören. Nur Rauschen und Krachen kommt aus den Lautsprechern; allem Anschein nach lässt sich hier kein einziger Sender empfangen, nicht einmal die starken aus Denver oder Fort Collins. Es ist, als hätte die dichte Schneedecke die restliche Welt erstickt.
    Sie nimmt ihr Mobiltelefon zur Hand und sieht darauf. Nur ein einziger Balken der Feldstärkeanzeige ist sichtbar, und auch er verschwindet gleich wieder. Sie hat keinen Empfang. Zweifellos liegt das an der großen Höhe und an dem Schneesturm. Sie schaltet das Radio aus und sieht nach, ob das Magazin ihrer Pistole voll ist. Nachdem sie sie in die Handtasche gesteckt hat, schließt sie ihren Mantel und tritt ins Freie.
    Es sind etwa vierzig Schritte bis zum Portal. Während sie ihm entgegenstrebt, hat sie das unbehagliche Gefühl, durch einen Spion im Tor beobachtet zu werden. Nein, eigentlich ist sie sicher, dass man ihr Näherkommen verfolgt. Zweifellos hat sie mit dem Licht ihrer Scheinwerfer die Macht des Bösen geweckt, die jetzt mit allen Mitteln versuchen wird, sie am Betreten des Klosters zu hindern – oder dafür sorgen wird, dass sie es bald wieder verlässt.
    Hör auf zu spinnen, Maria. Wahrscheinlich sind das lauter freundliche alte Damen, die Tee trinken und Kekse essen, während sie sticken.
    Jetzt hat sie das Portal erreicht. Es gibt kein Zurück. Viermal lässt sie den schweren Klopfer mit Bronzekopf gegen seine Grundplatte fallen. Er ist so kalt, dass sie dabei schmerzlich das Gesicht verzieht. Dann legt sie das Ohr ans Holz, um den Schlägen nachzulauschen. Sie wartet einige Sekunden und klopft dann erneut. Beim dritten Schlag öffnet sich knarrend die hölzerne Klappe hinter dem Sprechgitter, wobei das tanzende Licht einer Fackel sichtbar wird. Zwei schwarze Augen mustern sie. Sie hält ihren Dienstausweis vor das Gitter und sagt lauter als sonst, um den Wind zu übertönen: »Special Agent Maria Parks. Ich komme aus Boston und habe den Auftrag, den Mordfall aufzuklären, zu dem es in Ihrer Gemeinschaft gekommen ist.«
    Die Nonne sieht einen Augenblick lang auf den Ausweis, als

Weitere Kostenlose Bücher