Das Evangelium nach Satan
die Schwestern getötet.«
Mit einem Mal fühlt sich Maria von einer heftigen Angst gepackt!
»Was sagen Sie da?«
»Sie meinen?«
»Sie haben gerade gesagt, dass dieses Wesen Sie in Hattiesburg getötet hat.«
»Ja, haben Sie denn immer noch nicht begriffen?«
Maria wendet sich der großen Fensterfläche zu und sieht ihr Spiegelbild. Die Bank ihr gegenüber ist leer. Beklommen wendet sie sich erneut der Unbekannten zu, die sie nach wie vor lächelnd betrachtet. Mit einem Mal fällt ihr ein, wem das Gesicht gehört. Sie hat es beim Durchblättern der Akte über die verschwundenen Frauen von Hattiesburg gesehen. Jetzt weiß sie auch wieder, dass sie dasselbe Gesicht am Kreuz in der Dunkelheit der Krypta gesehen hat, zerfallen und verwest … das Gesicht von Schwester Mary-Jane Barko.
»Großer Gott, das ist unmöglich …«
Das Lächeln der jungen Nonne wird starr, Risse bedecken ihre Lippen und die Haut ihres Gesichts. Als sie wieder anfängt zu sprechen, merkt Maria, dass ihre Stimme anders klingt als zuvor.
»Unmöglich? Special Agent Maria Parks, Sie können Dinge sehen, die andere nicht zu sehen vermögen, nicht aber solche, die nicht existieren. Begreifen Sie den Unterschied?«
»Hören Sie mit dem Quatsch auf, Barko, oder wer auch immer Sie sind. Ich bin mit hundertvierzig Sachen gegen eine Windschutzscheibe geknallt und habe seitdem Visionen. Ich sehe Tote und aufgeschlitzte Frauen in unterirdischen Räumen. Verschonen Sie mich also mit Ihren Theorien über das, was man sehen kann und was nicht. Sie sind nichts weiter als eine Vision, und sobald die elektrische Entladung in meinem Gehirn vorbei ist, der Sie Ihre Entstehung verdanken, verschwinden Sie auch wieder.«
»Nur eine Frage, Maria: Woher kommt Ihrer Ansicht nach der Luftstrom, der über Ihr Gesicht streicht, während wir sprechen?«
»Bitte?«
»Woher kommt Ihrer Ansicht nach der leichte Luftstrom, der Ihre hübschen dunklen Locken bewegt?«
Mit einem Mal merkt Maria, dass in der Tat ein warmer Luftstrom über ihr Gesicht streicht. Sie blickt sich suchend nach der Klimaanlage um. Es gibt in diesem Lokal keine. Als die Nonne erneut spricht, hat Maria den Eindruck, als komme ihre Stimme aus dem Inneren ihres eigenen Kopfes.
»Sehen Sie jetzt zum Parkplatz hin. Sie sind gerade angekommen.«
Maria wendet sich erneut der großen Scheibe zu und kneift die Augen zusammen, um durch den Flockenvorhang ihren Geländewagen sehen zu können. Eine weiße Wolke steigt aus dem Auspuff. Durch die Windschutzscheibe, über die nach wie vor die Wischerblätter laufen, sieht sie sich selbst, den Kopf nach hinten gelehnt, das Gesicht von der Innenbeleuchtung erhellt.
»Sie schlafen, Maria. Und der Luftstrom, den Sie spüren, kommt aus der Klimaanlage Ihres Autos. Jetzt müssen Sie aufwachen. Sie dürfen keinen Augenblick verlieren, denn der Schneesturm kommt näher.«
Unvermittelt erwacht Maria Parks. Sie greift nach dem Lenkrad. Draußen fällt lautlos Schnee. Durch die großen Scheiben des Lokals sieht sie Bedienungen hin und her eilen und Gäste, die sich mit ihrer Mahlzeit beschäftigen. Sie unterdrückt einen Schreckenslaut, als sie einen leichten Rosenduft wahrnimmt. Sie wirft einen Blick in den Innenspiegel. Niemand. Großer Gott, was ist das?
3
Nur langsam bewältigt Maria die schwierigen Spitzkehren zum Kloster von Holy Cross. Sie muss das Steuer festhalten, um die Windstöße abzufangen, unter denen das Fahrzeug zittert. Ihren Weg findet sie mithilfe des Navigationsgeräts, dessen Bildschirm inmitten der Weiße ein beruhigendes Licht ausstrahlt. Wie es aussieht, sind es nur noch drei Kilometer. Noch einige Kurven am Rande eines Steilabsturzes entlang, dann ist sie am Ziel.
Ohne die Straße aus den Augen zu lassen, steckt sie sich eine Zigarette an und geht in Gedanken noch einmal durch, was sie über die Weltfernen Schwestern weiß. Der Tageslauf dieser Nonnen beginnt um drei Uhr morgens mit der Frühmette. Ihr folgt eine längere Zeit des Studiums und der Versenkung bis zum Morgengesang. Danach bekommen sie einen Napf mit Suppe und ein Stück altbackenes Brot. Anschließend beschäftigen sie sich mit der Lektüre und Restauration der verbotenen Handschriften, unterbrochen durch die Prim-und Terz-Gebete zur ersten und zur dritten Stunde nach Tagesanbruch. Ab zehn Uhr widmen sie sich erneut ihren Studien, die sie erst wieder zur Zeit des Sonnenuntergangs und nach Einbruch der Dunkelheit für die Sext-, Non-, Vesper-und Complet-Gebete
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