Das Evangelium nach Satan
braucht damit der Kandidat des Schwarzen Rauchs im nächsten Konklave keinen Konkurrenten mehr zu fürchten.«
Schweigen.
»Und wer ist der Alte auf dem Foto?«
»Kardinal Camerlengo Campini.«
»Ist das nicht der, der beim Tod eines Papstes alle Fäden in der Hand hält? Ist Ihnen klar, was das bedeutet?«
»Selbstverständlich. Sollte der Papst das Zeitliche segnen und es zu einer Sedisvakanz kommen, kann er nach Belieben schalten und walten.«
»In dem Fall, Hochwürden, muss ich Ihnen zu meinem Bedauern mitteilen, dass Ihr Papst gestern um zwölf Uhr mittags, römische Ortszeit, gestorben ist. Sofern Ihre Geschichte mit dieser Geheimloge stimmt und die Brüder die Maschine mit seinem möglichen Nachfolger bewusst haben abstürzen lassen, hat der Schwarze Rauch jetzt freie Hand, einen seiner eigenen Männer an die Spitze der Kirche zu bringen. Da die Kardinäle wegen des Konzils bereits in Rom sind, dürfte es ja wohl nur noch eine Formalität sein, das Konklave einzuberufen.«
Während Carzo die Augen schließt, um gegen den Schwindel anzukämpfen, der ihn erfasst hat, greift Crossman zum Notfalltelefon. Es klingelt mehrere Male, bis sich jemand meldet: »Hauptquartier Langley.«
»Hier ist Stuart Crossman. Geben Sie mir den Leiter der CIA.«
»Mr. Woodward ist gerade irgendwo in Arizona beim Angeln.«
»Habe ich das richtig verstanden – er angelt?«
»Es ist sein freier Tag, Mr. Crossman.«
»Dann sagen Sie ihm, dass er seine Angel ins Wasser schmeißen und so schnell wie möglich zurückkommen soll. Wir haben ein Problem.«
»Bleiben Sie am Apparat. Ich rufe ihn über sein Mobiltelefon an.«
Ein Knistern. Von fern klingt Stanley Woodmans Stimme: »Na, Stuart, was ist los?«
»Wir haben Code H am Hals.«
»Verdacht auf einen Staatsstreich? Wo brennt es denn? In Afrika? In Südamerika?«
»Nein, in Rom, im Vatikan.«
Schweigen.
»Nimmst du mich auf den Arm?«
»Komm zurück, so schnell du kannst, Stan. Es ist dringend.«
3
Im Vatikan, ein Uhr nachts
Monsignore Riccardo Ballestra fährt aus dem Schlaf hoch und setzt sich im Bett auf. Er hat von einer tödlichen Geißel geträumt, die sich überall auf der Welt ausbreitet und die Einwohnerschaft ganzer Städte vernichtet. So entsetzlich war dieser Albtraum, dass es dem Prälaten vorkommt, als setze er sich in der Wirklichkeit fort.
Ganz wie es ihm sein Kardiologe empfohlen hat, atmet er ruhig durch die Nase ein, um seinen Blutdruck zu senken. Überreste des Traumes drängen sich in sein Bewusstsein. Die Geißel hatte zuerst die Zugvögel befallen – Tausende von Störchen und Graugänsen, die auf dem Weg von Afrika zurück in die gemäßigten Breiten waren. Manche hatte die Krankheit, deren Keim sie in sich trugen, unterwegs dahingerafft, und sie waren tot ins Meer gestürzt. Andere waren in den riesigen Netzen elend erstickt, welche die Behörden der nördlichen Halbkugel hoch in der Luft hatten aufspannen lassen, um die Seuche an der Ausbreitung zu hindern. Doch die meisten hatten ihr Ziel erreicht, und so war es der Geißel rasch gelungen, sich in Stadt und Land auszubreiten.
Da die Krankenhäuser bald überfüllt waren, musste man schnellstens Quarantänezonen einrichten, um die Epidemie einzudämmen. Als Nächstes hatte man das Militär beauftragt, Sperrgürtel um befallene Städte zu ziehen und sofort auf jeden zu schießen, der sie zu durchbrechen versuchte. In den letzten Tagen des großen Übels hatten sogar Jagdflugzeuge Fernlenkraketen auf Paris, New York und London gerichtet und Bomben mit Festbrennstoffen abgeworfen, um die von der Krankheit befallenen Stadtteile zu zerstören. Es hieß auch, die Regierung des einen oder anderen asiatischen Landes habe die Bevölkerung der Hauptstadt evakuiert und diese dann mit atomaren Sprengsätzen dem Erdboden gleichmachen lassen. Schließlich hatte sich buchstäbliche Friedhofsruhe auf der ganzen Welt ausgebreitet.
Ballestra erinnert sich, dass Rom am Ende seines Traums nichts als ein riesiges offenes Massengrab war, über dem die Bussarde zu Tausenden kreisten. Vogelkot hatte den Petersplatz und die Kuppeln der Peterskirche bedeckt, und auf den Prachtstraßen der Ewigen Stadt verwesten Leichenberge. Dann war das Ungeheuer erschienen: ein Mönch, um dessen Kopf ein Schwarm Raben flog, war die Via della Conciliazione in Richtung auf den päpstlichen Palast entlanggeschritten.
Er hatte das Näherkommen dieses Ungeheuers aus dem Fenster seines Arbeitszimmers beobachtet. Als es die
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