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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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geschickt hatten. Er war in offenkundiger Eile abgefasst worden und teilte mit, dass man soeben vier Schwestern in ihrer Zelle erhängt aufgefunden und eine fünfte, nämlich die Oberin Mahaud de Blois, zerschmettert am Fuß der Mauern entdeckt habe. Diese fünf hatten den Auftrag gehabt, das Buch zu studieren. Bevor sich die Oberin in die Tiefe stürzte, habe sie sich mit ihren Nägeln das Gesicht zerkratzt und dann ihre Finger in das Blut getaucht, um an die Wand ihrer Zelle zu schreiben, was der Überlieferung nach Christus vor seinem Tod ausgerufen hatte: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Darauf habe sie sich mit einem in Tinte getauchten Gänsekiel die Augen ausgestochen.
    Ballestra wischt sich den Schweiß von der Stirn. Was mochte diese Dienerin Gottes so tief aufgewühlt und ihr nicht nur den Glauben, sondern auch den Lebenswillen genommen haben? Die Antwort auf diese Frage findet er im vorletzten Dokument, das er aus der Nische Klemens V. nimmt. Dies Pergament aus der Zeit des dritten Kreuzzugs hatten die Inquisitoren im Geheimarchiv des Templerordens entdeckt.

13
    Es ist vom 27. Juli 1191 datiert, war also vier Tage, nachdem de Sablé die Handschrift entgegen der ausdrücklichen Anweisung des Papstes gelesen hatte, abgefasst worden. Ballestras Kehle schnürt sich zusammen: Zweifellos liegt hier der Schlüssel des Geheimnisses.
    Die Jünger, die Zeugen der Lossagung Christi von Gott geworden waren, heißt es darin, hatten auf ihrer Flucht, bei der sie den Leichnam des Janus mit sich führten, in den Ausläufern des Hermongebirges eine Felsenhöhle entdeckt und in deren Tiefen verborgen das Satansevangelium verfasst. Auf diese Höhle waren die von Großmeister de Sablé in den Norden Galiläas entsandten Tempelritter gestoßen, nachdem sie ihre Pferde fast zu Tode geritten hatten.
    Verfasser des Pergaments, das Ballestra jetzt liest, war der Templer Hubertin de Clairvaux. Er teilte darin seinem Großmeister de Sablé mit, es sei ihm und seinen Männern gelungen, in die Tiefen des Berges einzudringen. Dort hätten sie eine große, kreisrunde Höhle entdeckt, deren Wände mit Unheil verkündenden Inschriften bedeckt gewesen seien. Beispielsweise hätten Anhänger des Janus mit Blut die verfälschte Fassung des titulus vom Kreuz Christi auf eine Lehmwand im hinteren Teil der Höhle geschrieben. Als er diese Wand habe einreißen lassen, sei aus der Öffnung ein brennend heißer und ätzender Hauch gekommen, der vier seiner Männer entstellt habe.
    Nachdem sich der Gifthauch aufgelöst habe, hätten sich die Überlebenden Zugang zum hinter jener Wand liegenden Teil der Höhle verschafft und dort ein Grab aus Granit gefunden, in dem auf einer Schicht aus Zweigen ein menschlicher Umriss gelegen habe. Durch das Schweißtuch, das ihn umhüllte habe man zahlreiche Menschengebeine erkennen können. Als sie das Tuch aufgetrennt hatten, um das Skelett darin freizulegen, seien zwischen den Knochen an Hand-und Fußgelenken lange Eisennägel sichtbar geworden, die unter dem Einfluss der aggressiven Atmosphäre in der Höhle vollständig verrostet gewesen seien. Die Knochen des Skeletts seien an mehreren Stellen zerbrochen gewesen. Um den Schädel herum, dessen Decke von Steinen zertrümmert gewesen sei, hätten die entsetzten Templer eine verdorrte Dornenkrone gesehen, von der eine Spitze dem Geschundenen durch den Brauenbogen gedrungen war. Es sei ganz offensichtlich, dass es sich nur um die Überreste des Janus handeln könne. Damit hatten die Templer unter dem Kommando Clairvaux’ in der Höhle den unwiderleglichen Beweis für das entdeckt, was de Sablé in jenem Evangelium gelesen hatte. Es war derselbe Beweis, auf den auch die Weltferne Schwester Mahaud de Blois in den Archivunterlagen des Tempels gestoßen war. Ballestra schließt die Augen. Was hätte sich diese von heiligem Schrecken und dem Aberglauben des Mittelalters erfüllte arme Nonne Entsetzlicheres vorstellen können? Kein Wunder, dass beim Lesen dieses Berichts ihr ganzer Glaube von einem Augenblick auf den anderen zerstört worden war. Ballestra kann das ganz und gar nachempfinden, wo doch selbst sein Glaube Sprünge bekommen hat und hin und her schwankt, wie der Mast eines Schiffes im Sturm.
    »Gott ist in der Hölle. Er gebietet den Dämonen und den Seelen der Verdammten. Er gebietet den Geistern, die in der Finsternis umherirren. Alles ist falsch. O Herr! Alles, was man uns gesagt hat, ist falsch.«
    Ballestra zittert, als er sich

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