Das Evangelium nach Satan
Verschwörung gegen den Heiligen Stuhl an. Auch hatte er darin die Gründe für die Einkerkerung der Templer genannt, das Auffinden des verfemten Evangeliums in einer ihrer Burgen beschrieben und den Fluch wiedergegeben, den deren letzter Großmeister auf dem Scheiterhaufen gegen Papst und König geschleudert hatte. Er hatte alle künftigen Päpste gemahnt, auf Zeichen zu achten, die eine Rückkehr des Tieres ankündigten, und sie abschließend aufgefordert, die von ihm eingeleitete interne Untersuchung fortzuführen. Jeder, der den Stuhl Petri besteige, solle dem Dokument die Ergebnisse seiner eigenen Erkundungen anfügen, bevor er es über das System des päpstlichen Siegels an seinen Nachfolger weitergebe.
Das nächste Pergament. Am 20. April 1314, neun Tage, nachdem Klemens V. diese Untersuchung angeordnet hatte, war er in Roquemaure nahe Avignon plötzlich und unter ungewöhnlichen Umständen gestorben. In den Kommentaren des damaligen Camerlengo hieß es, man habe ihn mit weit offenen Augen leblos auf seinem Lager gefunden und eine geheimnisvolle ascheähnliche Masse habe seine Nasenlöcher verstopft.
»Guter Gott im Himmel …«
Entsetzt von dem eben Gelesenen erbricht Ballestra das Siegel von rund einem Dutzend weiterer aufs Geratewohl herausgegriffener Pergamente. In einem Dokument vom 11. April 1835 stößt er auf eine Liste von Päpsten, die unter den gleichen Umständen wie Klemens V. verschieden sind: Insgesamt achtundzwanzig Päpste hatte man leblos auf ihrem Lager gefunden, mit weit vorstehenden Augäpfeln und einem Pulver in der Nase, das wie Asche aussah.
Zusätzlich findet er in einem von Gregor XVI. abgefassten Dokument eine Liste der stummen Symptome dieser sonderbaren Krankheit, die sich durch die Jahrhunderte zu wiederholen scheint: Die Haut des »Dahingeschiedenen« fühle sich lauwarm an, seine Augen seien weit hervorgetreten, und jeder, der ihm die letzte Ehre erwies, habe den Eindruck gehabt, als habe die Seele den Körper noch nicht verlassen.
»O Herr, ich bitte dich, lass es nur das nicht sein …«
Drei Tage nach Abfassung jenes Dokuments hatte man auch Gregor XVI. leblos aufgefunden – mit weit vorgequollenen Augen und einer Art Aschebelag in der Nase. Der Camerlengo hatte eine kleine Probe davon genommen und sie in einem luftdicht verschlossenen Tiegel aufbewahrt, der in der Finsternis der Halle der Siegel die Jahrhunderte überdauert hat.
Ballestra wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht, wendet sich den letzten Nischen zu und bricht das Siegel von Dokumenten, die er, kaum dass er sie überflogen hat, verärgert über die Schulter zu Boden wirft, weil sie nicht enthalten, was er sucht. Schließlich aber entdeckt er es in einem braunen Umschlag mit dem Siegel von Papst Pius X. Sorgfältig entfaltet er die drei Blätter.
Juli 1908. Der Pontifex maximus hat der Liste der ermordeten Päpste in Fortführung der von Klemens V. angeordneten Untersuchung das Ergebnis einer Analyse der ascheähnlichen Ablagerung beigefügt, die der Camerlengo Gregors XVI. ein Jahrhundert zuvor entnommen hatte. Die Schweizer Ärzte, denen man diese Aufgabe unter größter Geheimhaltung anvertraut hatte, waren übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Ablagerung nach Einnahme eines langsam wirkenden kataleptischen Gifts entsteht, das sein Opfer lähmt und bei vollem Bewusst. sein in einen Zustand ähnlich einem Koma versetzt. Dabei sind die Körperfunktionen so weit reduziert, dass ein Arzt zwangsläufig zu dem Ergebnis kommen muss, der Betreffende lebe nicht mehr. Mit diesem Gift also haben die Kardinäle des Schwarzen Rauchs seit Jahrhunderten Päpste ermordet. Ballestra wird von heftigem Schwindel erfasst. Wie viele von ihnen mögen mit weit offenen Augen in der Finsternis ihres Grabes verhungert, verdurstet und erstickt sein? Und wie viele haben, wenn die Wirkung des Giftes nachließ, voll Entsetzen versucht, die schwere Granitplatte beiseitezurücken, die auf ihnen lag? Schlimmer noch, wie vielen hat man bei vollem Bewusstsein die Eingeweide entnommen, nachdem das Einbalsamieren zum Bestandteil des Bestattungsritus der Päpste erklärt worden war?
Die Lampe entfällt seiner Hand, und er weicht unwillkürlich mehrere Schritte zurück. Er muss unbedingt hinaus, dem Camerlengo mitteilen, dass der Schwarze Rauch des Satans im Begriff steht, die Herrschaft über das Konklave an sich zu reißen. Nein, nicht ihm, lieber dem Chefredakteur des Osservatore Romano, besser noch dem des Corriere
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