Das Evangelium nach Satan
die Worte flüstern hört, die Robert de Sablé vor sich hin gesagt hatte, während er in den Tiefen der Festung von Akkon den Verstand verlor. Vier Tage später hatte er das Schreiben bekommen, in dem Hubertin de Clairvaux berichtete, was er in den Höhlen des Hermongebirges gesehen hatte. Nur noch die im Laufe der Zeit verblassten Zeilen, die Ballestra soeben gelesen hat, zeugen von dieser traurigen Geschichte.
Im Brief von Clairvaux an seinen Großmeister hieß es weiter, in dem Augenblick, da seine Männer die Gebeine des Janus hatten fortbringen wollen, hätten die Wände der Höhle unzählige Skorpione und Giftspinnen ausgespien, die sich sogleich auf die Grabschänder gestürzt hätten. Er hatte das entsetzliche Geheul der Templer beschrieben, das noch lange in den Tiefen des Berges nachgehallt habe, während er, in dessen Adern auch schon das Gift kreiste, nach oben gestiegen sei.
Draußen im Freien hatte er noch die Kraft gefunden, jene Zeilen niederzuschreiben und seinem Pferd das Pergament ins Zaumzeug zu schieben. Dann hatte er es wohl angetrieben, in der Hoffnung, dass es den Weg nach Akkon zurückfinden werde. Anschließend hatte er sich voll Verzweiflung in sein Schwert gestürzt.
In dieser Stellung hatten von Akkon ausgesandte Templer seinen Leichnam gefunden. De Sablés Anweisung befolgend hatten sie den Eingang zu der Höhle, in der die sterblichen Reste des Janus ruhte, mit einer künstlich ausgelösten Geröll-Lawine verschlossen. Noch ein volles Jahrhundert von Kreuzzügen und Gemetzel hatten die Templer überdauert, ein Jahrhundert des Elends und des Blutvergießens, in dessen Verlauf sie nur ein Ziel kannten: möglichst viele Schätze zusammenzuraffen. Damit wollten sie bei Konklaven die Kardinäle bestechen, um einen von ihnen gewünschten Papst an die Spitze der Kirche zu stellen. Dieser Antichrist sollte als Botschafter des Janus das Ende der Christenheit verkünden und die Herrschaft Christi durch die des Tieres ablösen.
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Ballestra kontrolliert die Batterien seines digitalen Diktiergeräts und flüstert dann die Ergebnisse seiner Suche ins Mikrofon, während er sämtliche von Papst Klemens V. unterzeichneten Anordnungen zur Festnahme der Templer und die Anklageschriften gegen sie durchgeht.
Während im Morgengrauen des 13. Oktober 1307 dreitausend Bogenschützen in die über ganz Frankreich verstreuten Templerburgen eindrangen, schnitten die in den Vatikan eingeschleusten Spione des französischen Königs den Kardinälen, die mit dem verfemten Templerorden unter einer Decke steckten, die Kehle durch. Lediglich die wenigen unter ihnen, deren Verbindung zu jenem infamen Orden unbekannt geblieben war, entgingen diesem Schicksal. Sie gründeten unter dem Namen Schwarzer Rauch des Satans eine geheime Bruderschaft, der es schon bald gelang, sich im Vatikan auszubreiten. Das fiel ihnen umso leichter, als die Päpste zu jener Zeit nicht mehr in Rom residierten, sondern in Avignon.
Dann entrollt Ballestra ein Pergament, auf dem ein Illustrator Klemens’ V. das Wappen des Schwarzen Rauchs überliefert hat: ein blutrotes Kreuz, von Flammen umgeben, deren Spitzen sich ineinander verschlingen und die vier Buchstaben des Janus- titulus bilden. Es ist das aramäische Symbol der ewigen Verdammnis, das Kennzeichen der Seelenräuber.
Er nimmt zwei weitere Pergamentrollen mit Angaben über den Templerorden zur Hand und spricht leise in sein Mikrofon.
18. März 1314. Nach einem Prozess, dessen Ausgang von vornherein feststand und in dem das Urteil längst geschrieben war, hatte man Jacques de Molay, den letzten Großmeister des Templerordens, mit der Begründung zum läuternden Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt, er habe gegen seine Gelübde verstoßen. Während er reglos inmitten der Flammen stand, hatte de Molay den König mitsamt dem Papst verflucht und ihnen zugerufen, noch bevor ein Jahr um sei, würden auch sie vor Gottes Richterstuhl stehen. Niemand hatte diese Drohung ernst genommen, außer Papst Klemens V., der daraufhin einen warnenden Brief an seine Nachfolger richtete, wobei er sich als Erster des Papstsiegels bediente, um sicherzustellen, dass das Schreiben geheim blieb. In diesem Schreiben vom 11. April 1314, das Ballestra in der Nische von Papst Innozenz VI. gefunden hat, hatte Klemens V erklärt, im Vatikan habe sich eine immer mächtiger werdende Geheimloge eingenistet, die sich der Schwarze Rauch des Satans nenne, und zum Satanskult übergelaufene Kardinäle zettelten eine
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