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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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Parkettbodens unter ihren Füßen. Dann zieht sie ein Paar Latexschuhe über und geht auf die lange Reihe von Regalen aus Zedernholz zu, die in chronologischer Abfolge Unmengen als geheim eingestuften Materials enthalten. Sie fühlt sich von der dort herrschenden Stille bedrückt. Es kommt ihr vor, als schreite sie durch die Regalreihen eines menschenleeren Kaufhauses, in dem sie sich über Nacht hat einschließen lassen. Soweit man ihr gesagt hat, enthält dieser Raum außer den Akten der gegen Galileo und Giordano Bruno geführten Prozesse auch die Rede des Kolumbus vor den Gelehrten der Universität Salamanca, die nicht bereit waren zu glauben, dass die Erde rund sei.
    Mitten in dem riesigen Raum seufzt sie mutlos. Es kann Jahre dauern, unter den Tausenden von Handschriften und sonstigen Dokumenten die von Carzo genannten sieben Werke zu finden, wenn sie nicht weiß, in welchem der vielen Regale sie suchen muss. Hatte nicht Carzo zu Ballestra gesagt, sie befänden sich in dem großen Regal des Archivs? Valentina dreht sich einmal um die eigene Achse und sieht mindestens sechs Regale, auf die diese Beschreibung zutreffen könnte. Allerdings ist eins davon, das die ganze hintere Wand einnimmt, deutlich größer als alle anderen.
    Prüfend lässt sie vor dem ersten der großen Regale einen Finger über den Boden gleiten. Kein Stäubchen. Dann wendet sie sich dem nächsten zu. Es ist so hoch, dass man auf Rädern laufende Bibliotheksleitern davorgestellt hat. Bis jetzt hat der Parkettboden das Licht ihrer Taschenlampe so getreulich wie ein Spiegel zurückgeworfen, doch je näher sie der riesigen Regalwand kommt, desto stumpfer wird der Lichtreflex. Man könnte annehmen, dass der Boden aus einem anderen Material besteht oder, genauer gesagt, als habe man das Parkett dort nicht versiegelt. Es ist von Staub bedeckt, und je näher der Lichtkegel an das Regal heranwandert, desto dicker wird diese Schicht.
    Sie geht in die Hocke und fährt erneut mit einem Finger über den Boden. Schwarze Krümel und Spinnweben bleiben an ihrem Latexhandschuh hängen. Woher all dieser Schmutz gekommen sein mag?
    Im Licht der Lampe entdeckt sie Abdrücke von Schuhsohlen oder Sandalen im Staub. Sie folgt ihnen bis unmittelbar vor das Regal. Dort ist nur eine halbe Sohle zu sehen. Sonderbar. Ihr kommt der Gedanke, dass an diesem Regal jemand die Tür zu einem sehr lange verschlossenen Gang geöffnet haben könnte und inmitten der dabei aufgewirbelten Staubwolke hineingegangen ist.

13
    »Sind Sie sicher, dass Sie noch einmal dort hinwollen?«
    Maria nickt. Nach wie vor jagt ihr Puls unter dem Eindruck des Entsetzens, das sie im Lauf ihrer ersten hypnotischen Sitzung empfunden hat.
    Carzo seufzt. »Ihre Stigmatisierung macht mir Sorge.«
    »Meine was?«
    Er weist auf ihren Arm. Von der Wunde, die sie in ihrer Trance empfangen hat, ist eine halbmondförmige weißliche Narbe zurückgeblieben.
    »Was ist das?«
    »Eine Wunde, die in dem Augenblick aufgetreten ist, als Kaleb die Oberin mit einem Dolch verletzt hat. Sie ist sofort vernarbt, als Sie wieder zu sich gekommen sind. Das zeigt mir, dass Ihre Gabe noch weiter reicht, als ich gedacht hatte, und Ihre Trance-Zustände eine gewisse Ähnlichkeit mit Fällen von äußerster Besessenheit aufweisen. Wäre mir das von Anfang an bewusst gewesen, ich hätte nie zugelassen, dass Sie mit den Seelenräubern Kontakt aufnehmen. Deshalb habe ich auch gefragt, ob Sie wirklich mit dem Generalinquisitor Landegaard in Verbindung treten wollen. Die Sache könnte gefährlich werden.«
    »Eigentlich doch erst, wenn er im Dolomiten-Kloster ist. Ich habe bei den Schwestern von Denver seine Geheimberichte gelesen.«
    »Das sind aber nicht alle. Gott allein weiß, ob unsere reizenden Bibliotheksschwestern nicht einen großen Teil davon vernichtet haben.«
    »Und Ihnen wäre es sehr recht, wenn ich das feststellen könnte, nicht wahr?«
    »Ehrlich gesagt, ja.«
    »Also los, aber diesmal ohne Schamanen-Droge.«
    Pater Carzo nimmt vier Lederriemen mit festen Schnallenverschlüssen aus der Tasche.
    »Was wollen Sie damit?«
    »Mit solchen Riemen werden in psychiatrischen Einrichtungen Patienten fixiert.«
    »Ein Armband wäre mir lieber.«
    »Es ist mir ernst damit. Als Sie bei Mutter Gabriella waren, haben Sie mir fast die Hand zerquetscht, und dabei war, das nur eine harmlose alte Frau. Aber jetzt werden Sie Verbindung mit dem Geist eines Generalinquisitors aufnehmen. Das war ein Mann von Mitte dreißig und vermutlich

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