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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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Zugang öffnete.
    Bei den nächsten Spuren sind Absatz und Spitze tiefer eingedrückt als der Rest: Hier hat er sich also bewegt. Sie leuchtet mit der Taschenlampe. Nichts spiegelt, also hat hier schon Staub gelegen, als Ballestra den Fuß dort hingesetzt hat.
    Wenige Zentimeter vor der Regalwand liegen wieder zwei tiefe Abdrücke nebeneinander. Sie haben den Staub zusammengedrückt, und um sie herum ist das Parkett stumpf. Unmittelbar bevor der Archivar in den Durchgang getreten ist, ist er also an dieser Stelle erneut stehen geblieben – vielleicht einige Sekunden des Zauderns, während er in die Dunkelheit spähte. Beim letzten Fußabdruck liegt die Hälfte unter dem Regal verborgen. Hier muss er in den Durchgang getreten sein, der sich dann hinter ihm geschlossen hat.
    Die junge Frau nimmt sich die Zitatenliste vor und mustert die Regalwand mit einem flüchtigen Blick. Sie ist geschätzte vierzehn Meter lang und sechs Meter hoch, dürfte also mindestens sechzigtausend Handschriften enthalten. Sie nimmt ihren Taschenrechner zur Hand und stellt fest, dass die Aussicht, bei sechzigtausend Bänden sieben bestimmte zu finden, eins zu achttausendsiebenhundertzweiundfünfzig beträgt. Außerdem ist noch die Reihenfolge zu berücksichtigen, in der man diese Bücher zwischen den anderen hervorziehen muss – achthundertdreiundzwanzigtausendachthundertdreiundfünfzig Möglichkeiten. Damit liegt die Aussicht, die richtige Kombination zu finden, indem man in dem Regal irgendwelche Bücher nach dem Zufallsprinzip verrückt, bei eins zu rund siebenhundert Milliarden. Kein Safe auf der ganzen Welt, weder in den Tresorräumen einer Schweizer Bank noch in den gepanzerten Kellergeschossen der Federal Reserve Bank der Vereinigten Staaten dürfte eine auch nur annähernd so hohe Sicherheit bieten wie dies im Mittelalter erdachte Verfahren. Ganz davon abgesehen braucht man bei diesem System, um den Schlüssel zu ändern, lediglich die sieben Bücher durch sieben beliebige andere zu ersetzen und für sie eine neue Zitatenliste zu erstellen. Mit einem Mal spürt Valentina einen sonderbaren Geschmack im Mund. Über Jahrhunderte hinweg haben Tag für Tag Tausende von Archivaren diese ungeheure Anzahl von Büchern immer wieder zur Hand genommen und zurückgestellt, ohne dass einer von ihnen die geringste Aussicht gehabt hätte, dabei aus Versehen den Mechanismus auszulösen.
    Aufmerksam sieht sie sich im Saal des Geheimarchivs um. Wie in allen Bibliotheken auf der Welt muss es auch hier irgendwo einen Bestandskatalog geben. Sie geht von Regal zu Regal und stößt schließlich auf einen Rechner. Als Bildschirmschoner laufen die Worte Salve Regina, Mater Misericordiae darüber – der Anfang der lateinischen Fassung des Rosenkranzgebets Gegrüßet seist Du, Maria. Sie drückt auf eine Taste, schon leuchtet der Bildschirm auf und verlangt ein Passwort.
    »Mist! Sollte man das für möglich halten? Die Burschen scheinen sich gegenseitig nicht über den Weg zu trauen.«
    Sie tastet unter dem Tisch, auf dem der Bildschirm steht, nach einem Blatt mit dem Zugangsschlüssel. Nichts. Dann probiert sie aufs Geratewohl mehrere Kombinationen aus: Daten, römische Zahlen, religiöse Begriffe, die ihr in den Sinn kommen. Jedes Mal verweigert ihr der Rechner den Zugriff. Sie will schon den Mut verlieren, doch dann sagt sie mit einem Lächeln: »Lieber Gott, mach, dass es wirklich so blöd ist, wie ich jetzt denke.«
    Rasch tippt sie den Text des Bildschirmschoners ein. Als sie dann auf die Enter-Taste drückt, beschleunigt sich ihr Puls: Die Festplatte springt an.
    »Danke, lieber Gott …«
    Jetzt zeigt der Bildschirm den Desktop des Rechners an. Valentina drückt auf das Icon für den Bestandskatalog. Tausende lateinischer, griechischer und, wie sie vermutet, hebräischer Titel laufen über den Bildschirm. Ganz unten sieht sie ein Suchfeld. Sie gibt das erste Zitat ein. Es dauert eine Weile, bis das System sämtliche Werke auf diesen Satz hin durchsucht hat. Dann wird ein Dutzend Handschriften angezeigt, in denen er enthalten ist. In zwei Fällen ist er Buchstabe für Buchstabe identisch, in den anderen wird er lediglich als Zitat angegeben. Es bleibt also eine lateinische Handschrift und ihre Übersetzung ins Griechische. Da der von Carzo übermittelte Text lateinisch war, klickt Valentina ihn an. Auf dem Bildschirm erscheint: Prima Secundae, Band zwei der Summa Theologica des heiligen Thomas von Aquin. Dem Bestandskatalog zufolge enthält das

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