Das Evangelium nach Satan
ist mit Ihnen?«
Die junge Frau spürt, wie sich Pater Carzos Hand um ihre Schulter schließt. Sie nimmt Verbindung mit ihm auf. Noch lässt die Vision, die sie durchlebt hat, ihre Schläfen pochen. Landegaards Geruch ist nach wie vor in ihr lebendig. Sie beugt sich vor und übergibt sich. Nicht nur wegen des Geruchs, sondern auch wegen der Erinnerung an seinen Körper. Als wenn es ihren Armen und Beinen noch nicht gelänge, ihre früheren Ausmaße zurückzugewinnen. Maria Landegaard. Erneut durchfährt sie ein Krampf. Als sie sich wieder aufrichtet, sieht sie der Priester besorgt an. »Regen Sie sich nicht auf, Carzo, ich bin wieder da.« Maria erschrickt: Ihre Stimme ist ihr ebenso unvertraut wie ihr Körper.
30
Valentina bahnt sich einen Weg durch die dicht gedrängte Masse der Gläubigen und biegt dann nach links in die verlassen daliegenden Gässchen der Stadt ab, um rascher voranzukommen.
Nach weniger als zehn Minuten erreicht sie die Piazza Navona, wo sie von der nächsten Kerzenträger-Prozession verschluckt wird. Sie arbeitet sich durch die Menge der Menschen, deren tränenüberströmte Gesichter die zuckenden Flammen erhellen, und sieht hier und da ein schlafendes Kind auf dem Arm eines Vaters oder einer Mutter. Als sie sich durch diesen Strom hindurchgekämpft hat, bleibt sie eine Weile stehen und atmet den köstlichen Duft ein, der vom Stand eines Waffelbäckers herüberweht. Sie dreht sich noch einmal zu dem Kerzenmeer um, das sich wieder hinter ihr geschlossen hat, und bleibt wie zur Salzsäule erstarrt stehen. Zwei Mönche, die sich ohne die geringste Mühe ihren Weg durch die Gläubigen bahnen, kommen von der anderen Seite des Platzes auf sie zu. Unter ihren Kapuzen leuchten ihre Augen schwach im Schein der Kerzen. Valentina zwingt sich weiterzugehen, dreht sich aber nach wenigen Schritten erneut um. Jetzt sind die Mönche in der Mitte der Menge. Man könnte glauben, dass sie mühelos über den Boden gleiten, und außerdem sieht es so aus, als ob den Menschen, die sich um sie herum drängen, ihre Gegenwart nicht einmal bewusst ist. Großer Gott, das sind sie …
Von irrsinniger Angst ergriffen, biegt sie in ein schmales Gässchen ein, das zum Pantheon führt. Sie unterdrückt einen Schmerzenslaut, als sie mit ihrem Pfennigabsatz zwischen zwei Pflastersteinen hängen bleibt und sich den Knöchel verrenkt. Rasch zieht sie die Schuhe aus und läuft auf Strümpfen über das eiskalte nasse Pflaster weiter. Atemlos eilt sie den Straßenlaternen entgegen, die in der Ferne leuchten. Hunde bellen, während sie vorüberrennt, als wollten sie die Seelenräuber auf sie aufmerksam machen. Hör mit dem Unsinn auf, Valentina, lauf lieber!
Kurz vor dem Pantheon dreht sie sich um und späht durch die Regenschauer in die Dunkelheit hinter ihr. Niemand. Sie stellt sich in den Schatten eines Standbilds und wirft einen prüfenden Blick auf den Platz. Wenige Schritte vom Hotel Abruzzi entfernt sieht sie Mario aus einem Taxi steigen. Sie erstarrt. Hinter dem Pantheon tauchen die beiden Mönche auf und gehen auf den Chefredakteur des Corriere zu, der sie nicht sieht, weil er sich gerade mit seinem Mobiltelefon beschäftigt. Mario, ich flehe dich an, sieh hoch …
Die Mönche sind nur noch etwa dreißig Schritt von ihm entfernt. Valentina sieht, wie einer von ihnen einen Krummdolch zieht, dessen Klinge im Licht einer Straßenlaterne aufblitzt.
»Mario, verschwinde um Gottes willen!«
Ihr Aufschrei geht im strömenden Regen unter. Jetzt sind die Mönche bis auf zehn Schritte herangekommen. Mario steht im Regen und sieht immer noch auf sein Telefon. Vielleicht hat er sich beim ersten Mal vertippt. Dann legt er es, ohne den Kopf zu heben, ans Ohr und setzt seinen Weg fort. Valentina will gerade auf ihn zugehen, als ihr Telefon klingelt. Sie nimmt es aus der Gürteltasche und meldet sich. Tränen strömen ihr über das Gesicht, als sie Marios Stimme hört.
»Wo bleibst du, Valentina?«
»Mario! Pass auf! Vor dir!«
Er bleibt stehen. »Was? Was sagst du?«
»Um Gottes willen, Mario! Die Mönche! Sie wollen dich umbringen!«
Sie sieht, wie er den Blick in dem Augenblick hebt, als der Mönch zustößt. Mario lässt das Telefon los und sieht zu Valentina hin, die auf ihn zugelaufen kommt, um ihm zu helfen. Doch dazu bleibt keine Zeit: Der Mönch hat die Klinge herausgezogen, an Marios Anzug abgewischt und wendet sich jetzt ihr zu.
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1
Am Lago Maggiore, einundzwanzig Uhr
Wortlos sind Maria Parks und Pater
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