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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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verwischten Spuren folgte. Vor einer wurmstichigen Tür, die zum Kreuzgang führt, holt sie tief Luft. Carzo folgt ihr. Nahe einer Mauer bleibt sie stehen und tastet mit den Fingerspitzen darüber. Ein Knacken ertönt. Ein Stück der Mauer schwingt beiseite. Sie nimmt den Kerzenleuchter, den ihr Carzo gibt, und folgt einer sehr alten Treppe, die sich in der Dunkelheit verliert.
    »Wohin führt der Gang, Maria?«

28
    Mit der Fackel in der Hand, die ihm einer seiner Männer gegeben hat, tritt Landegaard in den Gang und folgt den Spuren der Alten. Weiter unten hat sie sich an die Mauer gelehnt. Sie muss viel Blut verloren haben – also hat sie sich dort wohl längere Zeit reglos aufgehalten, um ihre letzten Kräfte zu sammeln.
    Landegaard bewegt die Fackel hin und her, um keine Spuren zu übersehen, und steigt weiter in die Tiefe. Raureif bedeckt die Wände. Als er die letzte Stufe erreicht, kommt es ihm vor, als sei er schon seit Stunden unterwegs. Hier krümmt sich der Gang und wird zugleich enger. Er sieht eine noch schmalere Öffnung, die davon abzweigt. Üble Gerüche dringen daraus zu ihm herüber. Vermutlich die Abfallgrube des Klosters. Er beleuchtet die Wände. Gefrorene Blutspuren. In diese Richtung muss die Oberin gegangen sein. Ein feines Lächeln tritt auf die Züge des Inquisitors. Ihm fällt ein, dass er oben im Kloster eine Abfallklappe gesehen hat. Wenn nun die Alte das Evangelium und den Janus-Schädel durch sie hinabgeworfen hätte, damit sie den Seelenräubern nicht in die Hände fielen?
    Er geht im eigentlichen Gang einige Schritte weiter und stößt auf Spuren, die Mutter Gabriella nach ihrer Rückkehr von der Abfallgrube hinterlassen hat. Der immer stärker werdende Luftzug drückt die Flamme der Fackel immer weiter nach hinten. Endlich entdeckt Landegaard in der Ferne einen hellen Fleck, der den Ausgang ankündigt. Die alte Nonne hat so viel Blut verloren, dass er jeden Augenblick damit rechnet, auf ihre Leiche zu stoßen. Aber nein. Sie hat durchgehalten, Gott allein weiß, woher sie die Kraft dazu genommen hat.
    Schon bald braucht er die Fackel nicht mehr. Er löscht sie mit dem Stiefelabsatz, wirft die Reste über die Schulter hinter sich und erreicht mit wenigen raschen Schritten das schwere Gitter am Ende des Gangs. Auch hier ein wenig Blut an den verrosteten Stäben. Auch am Schloss, in das sie vermutlich mit zitternder Hand ihren Schlüssel gesteckt hat. Er schiebt das Gitter auf, geht hinaus und wirft einen Blick auf die Berge.
    Das Sonnenlicht auf dem Schnee ist so grell, dass seine Augen tränen. Suchend tastet er über eine Steinplatte neben dem Ausgang. Wäre er auf diesem Weg geflohen, er hätte diese Stelle gewählt, um eine Botschaft für nachfolgende Inquisitoren zu hinterlassen.
    Ohne den Blick von den weißen Hängen der Alpen zu nehmen, lässt er seine Fingerspitzen über die Vertiefungen im Stein gleiten. Tatsächlich, sie hat ihr Ziel angegeben. Sie will nach Maccagno Superiore, wo ein Wehrkloster der Trappisten über den eisigen Wassern des Lacus Verbanus aufragt, der in der Sprache der Einheimischen Lago Maggiore heißt. Die dortigen Mönche üben schweigend die Kunst der Gerberei und der Herstellung feinsten Leders aus. Ihnen hatten die Weltfernen Schwestern die Handschrift übergeben, damit sie einen aus mehreren Schichten bestehenden Einband herstellten, bevor sie das Ganze mit einem vergifteten Schloss versahen. Anschließend hatten die frommen Schwestern die sonderbaren roten Fäden in das Leder gezogen, die lediglich im Dämmerlicht oder in der Dunkelheit aufschimmerten.
    Mit triumphierendem Lächeln auf den vor Kälte blauen Lippen setzt der Inquisitor das Horn an den Mund, das er am Gürtel trägt, und stößt mit aller Macht hinein. Während das Echo seines Signals von den Alpengipfeln widerhallt, folgt er mit den Augen der Kammlinie. Ein langer Weg voll Schnee und Eis, der sich bis an die fernen Grenzen des Reichs der Ungarn windet. Keiner ist gefahrenreicher als dieser – und dorthin hat sich die alte Nonne sechs Monate zuvor mit einem wertvollen Buch und einem Totenkopf aufgemacht.

29
    Es ist dunkel. Mond und Sterne werfen ein bläulich schimmerndes Licht auf die Gipfel. Am Ende ihrer Kräfte sinkt Maria auf die Steinplatte, in die Mutter Gabriella den Namen des Ortes geritzt hat, den sie aufsuchen will. Von dieser Tafel, auf der Landegaard mit den Fingerspitzen die Zeichen ertastet hatte, ist nichts geblieben als ein alter moosbedeckter Stein.
    »Maria, was

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