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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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leise Blubbern einer Aquariumpumpe und das Summen einer Fliege, die gegen die Wände prallt.
    Von einem Regal sehen aufgereihte Porzellanpuppen zu ihr her. Sie merkt, wie sich deren Lider heben, die Glasaugen im Dunkeln zu leuchten beginnen und die kleinen Hände sich ihr entgegenstrecken. Zwischen ihren wächsernen Lippen leuchten die spitzen Zähne.
    Ein scharrendes Geräusch auf dem Boden. Der Deckel eines Weidenkorbes hebt sich leicht und speit Dutzende von Spinnen und Skorpionen aus, die aus Plüschtieren hervorquellen und sich in Richtung Maria in Bewegung setzen. Mit klappernden Zähnen rollt sie sich zusammen wie ein Fötus. Während sie sich mit den Händen durch das Haar fährt, fällt ihr auf, wie lang und dicht es ist. Ihr eigenes ist kurz. Die schweren duftenden Locken lösen sich aus der Kopfhaut, entgleiten ihren Fingern und fallen auf das Kissen. Die Puppen wispern im Dunkeln. Die Skorpione erklettern das Bett über die fast bis auf den Boden herabhängende Steppdecke. Mit einem Mal hört Maria das Schnurren einer Katze, die sich im Zimmer versteckt hat. Ihr Blut erstarrt. Das ist Poppers, der große Siamkater von Jessica Fletcher. Jessica ist ein junges Mädchen, das vor zwölf Jahren mitsamt seinen Geschwistern umgebracht wurde. Es war die Nacht, in der ihr Vater verrückt geworden war.
    Die Puppenaugen blinzeln und erlöschen. Geräuschlos fallen die Spinnen wieder zu Boden, die Skorpione kehren in den Spielzeugkorb zurück, der sich knirschend schließt. Es ist so weit, der Albtraum kann beginnen.

3
    Maria befindet sich in Jessicas Körper. Sie träumt, dass ihre Augen offen sind und sie um jeden Preis wieder einschlafen muss, damit der Albtraum aufhört. Der mitternächtliche Albtraum, der schlimmste. Aber wie soll man wieder einschlafen, wenn man bereits schläft?
    Sie lauscht. Ein Säugling weint im Nebenzimmer. Mr. Fletcher singt mit monotoner Stimme ein Wiegenlied. Durch die Gipskartonwand hört Maria das rhythmische Geräusch, das die Kufen der Wiege auf dem Boden machen. Der Säugling soll wieder einschlafen. Aber er schreit, und Mr. Fletcher singt weiter. Seine Worte klingen warmherzig, aber sein Ton ist eisig. Dann holt der Säugling tief Luft und stößt ein Gebrüll aus, das schrill an Marias Trommelfell dringt. Während sich das Knarren der Wiegenkufen auf dem Boden beschleunigt, nimmt sie gedämpfte Geräusche wahr und etwas, das wie Metall klirrt. So, als stäche jemand mit einer Schere in ein Kissen. Der Säugling wird leiser, das Schreien hört auf. Das Knarren der Kufen wird immer langsamer. Dann Stille.
    Pantoffeln schlurfen im Flur. Wie jeden Abend macht Mr. Fletcher die Runde durch die Zimmer, um zu sehen, ob alle Kinder schlafen. Er öffnet eine Tür. Eine dünne ängstliche Stimme dringt an Marias Ohren. Sie gehört Jessicas kleinem Bruder Kevin, den das Geschrei des Säuglings geweckt hat. Sein Vater macht »Psst«. Er sorgt dafür, dass sich Kevin wieder hinlegt, und streichelt ihm die Wange. Entsetzt hört Maria die gleichen metallischen Geräusche wie zuvor.
    Erneut tritt Stille ein. Mr. Fletcher summt im Dunkeln vor sich hin.
    Maria hat sich unter ihre Steppdecke geflüchtet. Sie hört das Schlurfen der Pantoffeln im Flur, das Quietschen einer Türklinke. Durch zusammengekniffene Augen sieht sie Mr. Fletcher in seinem schönen Anzug mit Weste. Schweißbedeckt sein Gesicht. Lichtreflexe brechen sich in der Klinge des Tranchiermessers, das er hinter einem blutgetränkten Ärmel versteckt hält. Außerdem sieht sie seine ausdruckslosen Augen. Es sind die toten Augen einer Porzellanpuppe.
    Sie muss um jeden Preis wieder einschlafen, Jessicas Körper verlassen. Sie hört den pfeifenden Atem, als Mr. Fletcher näher kommt, nimmt seinen Geruch wahr, während er sich über ihr Gesicht beugt. Sie spürt seine riesige Hand, die unter der Steppdecke ihre Beine streichelt und an den Hüften emporfährt, spürt, dass die Hand an der Steppdecke eine klebrige Spur hinterlässt, während sie ihren ganzen Körper entlanggleitet. Sie hört seine keuchende Stimme, die böse und traurig zugleich klingt.
    »Schläfst du, Jessica?«
    Maria tut so, als ob sie schlafe. Sie hofft, Jessicas Vater werde sie vielleicht leben lassen, wenn er annimmt, dass sie schläft. Sie spürt, wie seine Hand sie leicht rüttelt, um sie zu wecken, riecht seinen scharfen Atem auf ihrer Wange. Darin mischen sich die Gerüche nach Whisky, gebrannten Pistazien und Erbrochenem. Jessicas Vater hat getrunken. Seine

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