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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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gefangen gewesen, wo ein erbarmungsloser Überlebenskampf getobt hatte. Auch wenn ihr Körper einen Großteil seiner Funktionen eingestellt und das Gehirn alle Verbindungen zu jenem Haufen leblosen Fleisches gekappt hatte, war ihr Bewusstsein rätselhafterweise funktionsfähig geblieben, als einzige Sicherung in einem Kasten, in dem alle anderen durchgebrannt waren. So kam es, dass sie aus großer Ferne gedämpfte Geräusche um sich herum wahrnahm, den Luftzug, der ihr Gesicht streifte, den Lärm der Straße, der durch das gekippte Fenster hereindrang, und das Kommen und Gehen der Schwestern, die sich um ihr Bett herum zu schaffen machten.
    Man hatte sie an ein Beatmungsgerät angeschlossen: Bei jedem Takt der Maschine schoss ihr eiskalte Luft in die Lunge, dehnte sie und wiederholte den Vorgang, wenn sich die Lunge wieder geleert hatte. Sie hörte das Quietschen, mit dem sich das Ventil in seinem Glaskolben öffnete und schloss, das Kratzen des EKG-Schreibers. Geräusche eines synthetischen Universums, die wie durch eine dicke Betonschicht oder durch eine Marmorplatte zu ihr drangen. Als läge sie, in sich selbst gefangen, in einem mit Satin ausgeschlagenen Sarg, dessen Deckel man geschlossen und den man in die eisige Dunkelheit eines Grabes hinabgelassen hatte. Als hätte ihr ein überforderter Arzt den Totenschein ausgestellt, nachdem er das Absterben ihres Körpers diagnostiziert hatte, ohne sich um ihr Gehirn zu kümmern: Maria war als lebende Tote auf alle Zeiten dazu verurteilt, in sich selbst umherzuirren, ohne dass jemand die Schreie hören konnte, die sie in der Finsternis ausstieß.
    Mitunter hörte sie, wenn die Nacht das Krankenhaus einhüllte und es ihr gelungen war, in ihrem Koma einzuschlafen, Regen, der auf ihre Grabplatte prasselte, und Vögel, die vom Wind dorthin verwehte Körner aufpickten. Mitunter drang sogar das Knirschen von Kies unter den Sohlen trauernder Friedhofsbesucher an ihr Ohr.
    Bei anderen Gelegenheiten wieder geschah es, wenn ihr erschöpftes Herz mit einem Mal zu schlagen aufhörte und das wenige an Bewusstsein, das ihr geblieben war, wie eine erlöschende Kerze flackerte, dass sie im Traum starb. Sie gab sich der unendlichen Kälte hin, die sie überfiel. Dann erstarrte ihr Geist wie ein verängstigtes Kind mitten in der Nacht, und während die Überwachungsinstrumente Alarm schlugen, stimmte sie ein Entsetzensgeschrei an, das nie über ihre Lippen hinausdrang.
    In solchen Situationen hatte sie das Echo ferner Stimmen gehört, etwa so, wie man Menschen am Strand hört, wenn man unter Wasser schwimmt. Besorgte Stimmen, die aus dem Nichts kamen, Stimmen, die sie umgaben und dahinschwanden. Jedes Mal hatte sie gespürt, wie ihr Hände das Hemd vom Leib gerissen und ihr Herz massiert hatten, wobei sie kräftig auf das Brustbein drückten, um den mit Blut gefüllten Muskel wieder zum Schlagen zu veranlassen. Dann waren Nadeln in ihre Arme eingedrungen. Zuerst ein feines Stechen, dann das unerträgliche Brennen des synthetischen Adrenalins, das sich in ihrem ganzen Organismus ausbreitete. Schließlich legten sich zwei Metallplatten auf ihre Brüste, und scharfes Pfeifen erfüllte die Luft. Während eine ferne Stimme etwas rief, das Maria nicht verstand, bäumte sich ihr Körper unter dem Stromstoß gewaltig auf. Danach erneut das Kratzen des EKG-Schreibers, der sich heftig in Bewegung setzt, das Pfeifen, mit dem sich der Defibrillator auf die nächste Entladung vorbereitet. Die Metallplatten zischen auf ihrer Haut. Zack! Eine erneute Explosion grellen Lichts dringt in ihr Gehirn. Ihr Herz zieht sich zusammen, hält inne, zieht sich wieder zusammen, hält wieder inne. Dann endlich hört es auf zu flimmern, beginnt, sich rhythmisch zusammenzuziehen und auszudehnen. Jedes Mal, wenn ihr Herz wieder in Gang gesetzt worden war, hatte Maria den eiskalten Sauerstoffstoß in ihrer Kehle gespürt, der ihre Lungenflügel geweitet hatte. Sie hatte gespürt, wie sich ihre Arterien dehnten und ihre Schläfen unter dem Druck des erneut strömenden Bluts zu klopfen begannen. Ihr Puls hatte wieder angefangen, in der Stille wie ein Hammer zu dröhnen. Schließlich waren die Stimmen um sie herum ruhiger geworden, und eine kalte Hand hatte ihr den Schweiß von den Schläfen gewischt. Die in sich selbst gefangene Maria begann erneut zwischen Sein und Nichtsein dahinzutreiben. Zu ihrem eigenen Entsetzen gelang es ihr nicht zu sterben.
    Als sie wieder zu sich gekommen war, hatte man ihr mitgeteilt, dass Mark

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