Das Evangelium nach Satan
gelaufen war. Nachdem Campini die Auflösung des Konzils gemäß Artikel 34 der apostolischen Verfassung Universi Dominici Gregis erklärt hatte, war er dazu übergegangen, das Konklave einzuberufen, das sofort nach der Beisetzung des vorigen Papstes eröffnet werden sollte. Seither lag Totenstille über Rom. Als habe sich etwas Zutritt zum Vatikan verschafft, das im Begriff stand, die Dinge dort in die Hand zu nehmen.
Von seinem Sitz im Fond aus, wo es nach Leder und teurem alten Whisky riecht, wirft Giovanni einen Blick auf Roms regennasse Straßen. Der Wagen, ein alter Bentley, sogar ein Sammlerstück, gehört Kardinal Angelo Mendoza, Staatssekretär des Vatikans. Während sich die Konzilsteilnehmer unmittelbar nach der Ansprache des Camerlengo erregt über die Unerhörtheit von dessen Vorgehen austauschten, hatte Mendozas faltige Hand einen Umschlag auf Giovannis Pult gelegt. Während er so tat, als ordne er seine Papiere, hatte ihn Giovanni unauffällig an sich genommen und rasch hineingesehen. Er enthielt lediglich ein Blatt, auf das Mendoza in lateinischer Sprache den Satz geschrieben hatte: »Der Tor hat seine Augen im Kopf, aber der Weise geht in der Finsternis.«
Bei dieser Verdrehung einer Stelle aus dem Prediger Salomonis hatte Giovanni unwillkürlich lächeln müssen. Mendoza hatte einfach die Subjekte vertauscht, denn in Wirklichkeit heißt die Stelle: »Der Weise hat die Augen im Kopf, aber der Tor geht in der Finsternis«. Erst in seinem Hotelzimmer, dessen Läden wegen der Sonne geschlossen waren, hatte er gesehen, wovon Mendoza nicht gewollt hatte, dass neugierige Blicke im Konzilssaal es mitbekamen: Vor seinen Augen tanzten rote Buchstaben – Leuchttinte, die nur im Dunkeln sichtbar ist, wobei der bei Licht lesbare Text verschwindet. Dieses von den Weltfernen Schwestern entwickelten Verfahrens bedienen sich die Ritter vom Orden der Archivare, um geheime Botschaften auszutauschen. Als Giovanni erfasst hatte, worum es ging, hatte er nicht mehr gelächelt. Noch einmal entfaltet er das Blatt und liest die roten Zeilen, die über dem Papier zu schweben scheinen.
∗ ∗ ∗
Um zweiundzwanzig Uhr holt Sie mein Wagen
vor dem Haus Nummer zwölf
in der Via di San Gregorio ab.
Kein Wort zu wem auch immer.
Sie sind in Gefahr.
Er faltet es wieder zusammen und steckt es in die Tasche seiner Soutane. Kardinal Mendoza gehört zur alten Garde, er ist die Nummer zwei im Vatikan und dem dahingeschiedenen Papst in unverbrüchlicher Treue ergeben. Sechs Monate zuvor hatte er Seiner Heiligkeit empfohlen, Giovanni an dessen fünfzigstem Geburtstag in den Kardinalsrang zu erheben. Damit war Giovanni der jüngste Kirchenfürst geworden. Auch wenn er zwangsläufig weniger Erfahrung als alle anderen besaß, hatte er im Kreise all der alten verschlagenen Amtsbrüder rasch begriffen, dass es besser war, einem Menschen zu vertrauen, als allen mit Misstrauen zu begegnen. Daraufhin hatte er sich dem Mann angeschlossen, der ihn zu dem gemacht hatte, was er jetzt war. Genau deshalb aber beunruhigt ihn Mendozas Botschaft ebenso sehr wie die unheimliche Stille, die über dem Vatikan liegt.
Er öffnet die Augen. Der Wagen hat vor einer Sackgasse angehalten, an deren hinterem Ende die Leuchtreklame einer Trattoria blinkt. Ein Kellner steht mit einem Regenschirm am Lieferanteneingang bereit.
»Wir sind da.«
Der Prälat zuckt leicht zusammen, als er die metallisch klingende Stimme des Fahrers durch die Gegensprechanlage des Wagens hört. Er sieht durch die Trennscheibe nach vorn. Der Mann hat sich nicht einmal umgedreht. Also öffnet Giovanni selbst den Schlag und setzt einen Fuß auf den Boden. Sogleich verschwindet sein Schuh zur Hälfte in einer Pfütze. Kaum ist er ausgestiegen, fährt der Wagen davon.
Giovanni tritt in die Sackgasse. Der Kellner kommt auf ihn zu und fragt leise: »Sind Sie der Prediger?«
»Wie bitte?«
Er sieht in die kalten Augen des Mannes, der auf eine Antwort wartet. Gerade als er sie ihm geben will, erkennt er in der Gasse vier Schatten. Vier Männer, die sich an eine Mauer gedrückt verborgen halten. Unwillkürlich weicht er zurück, als er den ihm zunächst Stehenden erkennt, weil der Lichtschein der Leuchtreklame auf ihn gefallen ist: Hauptmann Silvio Cerentino von der traditionsgemäß allein dem Papst ergebenen Schweizergarde.
»Zum Kuckuck, was ist hier los? Was haben diese Männer außerhalb der Mauern des Vatikans zu suchen?«
»Ich habe Ihnen eine Frage gestellt, mein Herr. Sind Sie
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