Das Evangelium nach Satan
leise vorgetragene Frage, ob die Herren zu Abend zu essen gedenken, winkt der alte Kardinal ab. Daraufhin entfernt sich der Kellner und schließt die Tür.
»Ich habe mir erlaubt, dies köstliche Tiramisu sowie eine Karaffe Grappa aus den Abruzzen zu bestellen, dem gewisslich auch unser Herr etwas hätte abgewinnen können«, sagt Mendoza.
»Wollen Sie mir nicht sagen, worum es hier geht, Eure Eminenz?«
»Später.«
Giovanni fügt sich und isst sein Tiramisu. Die Mischung aus Kakaoflocken und Alkohol brennt ihm im Hals. Er sieht zu Mendoza hin, der ihn durch den dichten Rauch seiner Zigarre beobachtet. Der Alte mit dem Hut hat seine Süßspeise kaum angerührt. Er dreht sich eine Zigarette, steckt sie sich zwischen die Lippen und zündet sie mit einem altmodischen Dochtfeuerzeug an. Dann wendet er sich einem zivil gekleideten Mann zu, der gerade mit einem dicken Umschlag unter dem Arm hereingekommen ist. Er verneigt sich vor dem Greis mit dem Hut und flüstert ihm etwas ins Ohr. Giovanni wird aufmerksam. Sizilianer. Der Bote übergibt dem Alten den Umschlag und zieht sich zurück. Dieser reicht den Umschlag an Mendoza weiter.
»Ich bin bereit, Sie anzuhören, Eminenz«, beginnt Giovanni, »wüsste aber gern, warum Sie mich haben herkommen lassen und wer diese Leute sind?«
Mendoza legt seine Zigarre sacht auf den Rand des Aschenbechers.
»Patrizio, wir haben gute Gründe anzunehmen, dass Vorbereitungen für einen grundlegenden Machtwechsel im Vatikan getroffen werden. Das Konzil war nichts als ein Vorwand, und das angekündigte Konklave wird lediglich eine Formalität sein.«
»Geht es etwa um den Schwarzen Rauch?«
»Immerhin wissen wir, dass die Bruderschaft unseren alten Freund Ballestra hat umbringen lassen, weil dieser in geheimen Räumen unterhalb des Vatikans Beweise für die Verschwörung entdeckt hatte. Beweise, die Päpste im Laufe der Jahrhunderte mit großer Geduld gesammelt haben.«
»Und weiter?«
»Daraufhin haben wir angesichts der verdächtigen Umstände beim Ableben des Papstes in unserem eigenen Archiv die Todeserklärungen aller Päpste seit dem vierzehnten Jahrhundert herausgesucht und dabei festgestellt, dass achtundzwanzig von ihnen auf die gleiche ebenso plötzliche wie geheimnisvolle Weise gestorben sind wie er.«
»Wollen Sie damit etwa sagen, dass man Seine Heiligkeit ermordet hat?«
»Das muss man befürchten.«
»Worauf warten Sie dann noch, um diesem Mummenschanz ein Ende zu bereiten und die Wahrheit ans Licht zu bringen?«
»So einfach ist das nicht, Patrizio.«
»Nicht so einfach, sagen Sie? Sie lassen mich durch Ihren Wagen am Kolosseum abholen, nachdem Sie mir eine geheime Botschaft haben zukommen lassen, ein bewaffneter Kellner nimmt mich wie einen Strauchdieb in Empfang und verlangt von mir in einer von Schweizergardisten in Zivil bewachten Gasse ein Losungswort, und das alles, weil Sie wollen, dass ich hier ein Glas Grappa trinke. Jetzt erklären Sie mit einem Mal, man habe den Papst ermordet, und der Schwarze Rauch stehe im Begriff, die Herrschaft über den Vatikan an sich zu reißen. Als ob ich das nicht selbst wüsste! Was ich aber nicht weiß, ist, was Sie von mir erwarten und warum wir vor einem Unbekannten miteinander reden, der Ihnen in einem sizilianischen Dialekt etwas zuflüstert.«
Ein breites Lächeln tritt auf die Lippen des Alten mit dem Hut. Mendoza nippt an seinem Grappa und stellt das Glas wieder auf den Tisch.
»Ich darf Ihnen Dom Gabriele vorstellen.«
»Von der Mafia? Haben Sie den Verstand verloren?«
»Die Mafia, wie Sie sagen, ist eine große Familie mit Vettern, Onkeln und Verrätern. Dom Gabriele vertritt den palermitanischen Teil der Cosa Nostra, der historischen Mafia, zu der die Kirche seit nahezu einem Jahrhundert ebenso wertvolle wie unerlässliche Kontakte unterhält. Doch Sie dürfen versichert sein, dass daran nichts Anrüchiges ist. Dom Gabriele ist nicht nur ein Freund, er ist auch gläubiger Katholik. Er ist hergekommen, weil er uns wichtige Enthüllungen zu machen hat.«
»Welcher Art sind die?«
Der Alte stößt ein Rauchwölkchen aus. Als er zu sprechen beginnt, hat Giovanni den Eindruck, jemandem zuzuhören, der eine Rolle in einem Film spielt. »Vergangene Nacht haben uns die Familien aus Trapani, Agrigent und Messina auf Mauscheleien zwischen Überläufern von der Camorra und der Cosa Nostra aufmerksam gemacht. Es sind Verräter, Leute, die wir als verfaultes Fallobst betrachten.«
»Ich kann Ihnen nicht recht
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