Das Evangelium nach Satan
der Prediger?«
Die Stimme des Kellners ist eisig. Giovanni beginnt zu zittern, als er sieht, dass der Mann eine Hand unter sein Jackett schiebt. Vermutlich greift er nach einer Schusswaffe. Rasch sagt er: »Der Tor hat seine Augen im Kopf, aber der Weise geht in der Finsternis.«
Die Züge des Mannes entspannen sich. Er nimmt die Hand aus dem Jackett und hält ihm den Schirm hin.
»Kardinal Mendoza erwartet Sie, Eure Eminenz.«
Giovanni wirft einen Blick in die Sackgasse: Die Schweizergardisten sind verschwunden.
7
Das Gedränge auf dem Petersplatz hat noch zugenommen. Dort sind inzwischen so viele Menschen, dass ihr leises Murmeln zu einem gewaltigen Donner anschwillt. Hunderttausende von Lippen beten inmitten eines Waldes von Kerzen. Von Weitem könnte man das Ganze für ein Ungeheuer halten, eine Hydra mit Tausenden reglosen Leibern und traurigen Gesichtern.
Von der Treppe der Peterskirche herab betrachtet der Camerlengo Campini das heranbrandende Menschenmeer. Es ist, als ströme die ganze Christenheit im Herzen Roms zusammen. Unmöglich können die Gläubigen eine Vorahnung von dem haben, was im Inneren des Vatikans vor sich geht.
Als der Kommandant der Schweizergarde neben ihn tritt, spürt der Camerlengo dessen hünenhafte Gestalt mehr, als dass er sie sieht.
»Ich höre.«
»Beim namentlichen Aufruf der Kardinäle hat sich gezeigt, dass drei fehlen, Eure Eminenz.«
Scharf fragt Campini zurück: »Wer?«
»Kardinal Staatssekretär Mendoza, Kardinal Giacomo von der Bischofskongregation, und Kardinal Giovanni.«
»Die beiden ersten haben die Altersgrenze überschritten und dürfen ohnehin nicht am Konklave teilnehmen.«
»Trotzdem, Eure Eminenz – der Kardinal Staatssekretär und der Leiter der Bischofskongregation, die Nummern zwei und sechs im Vatikan …«
»Ich darf Sie daran erinnern, dass nach dem Tod der Nummer eins weder Nummer zwei noch Nummer sechs mehr Macht besitzen als Spielkarten mit dem entsprechenden Zahlenwert. Während der Sedisvakanz gilt im Vatikan ausschließlich das Wort des Camerlengos, und der bin ich.«
»Glauben Sie, dass die etwas wissen?«
»Sagen wir, sie glauben, etwas zu wissen. Aber was für Machenschaften auch immer sie planen mögen – es ist dafür zu spät.«
Schweigen.
»Gibt es etwas Neues von dem Exorzisten Carzo und dieser Amerikanerin, die angeblich Visionen hat? Wie heißt sie noch? Ach ja, ich glaube, Maria Parks.«
»Sie sind von Maccagno Superiore aus in Richtung Bozen unterwegs.«
»Das Evangelium muss unbedingt gefunden und hergeschafft werden, bevor nach der Wahl des Großmeisters zum Papst das feierliche Hochamt abgehalten wird.«
»Ist es vielleicht besser einzugreifen?«
»Kümmern Sie sich nicht um Dinge, die über Ihren Horizont hinausgehen, Kommandant. Niemand darf etwas gegen Carzo unternehmen, bevor der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist.«
»Und was ist mit den drei Kardinälen?«
»Um die kümmere ich mich.«
Mit einem letzten Blick auf die Volksmasse ordnet Campini an: »Verdoppeln Sie die Zahl der Männer in Ihrer Sicherheitskette, und lassen Sie die Basilika schließen.«
Der Kommandant gibt einem der Gardisten einen Befehl und schließt dann die schweren Türflügel hinter dem Camerlengo, der im Inneren der Peterskirche verschwindet.
8
Der Kellner führt Kardinal Giovanni in ein Hinterzimmer der Trattoria, hält ihm die Tür auf und tritt beiseite. Der Raum, der nach alkoholischen Getränken und Zigarren riecht, ist behaglich eingerichtet. Dazu tragen die Wandteppiche in nicht unerheblichem Maße bei. Außer Kardinal Mendoza sitzen am runden Tisch, der in der Mitte steht, Kardinal Giacomo, Präfekt der Bischofskongregation, sowie ein alter Herr im dunklen Anzug, dessen Gesicht so faltig ist, dass er ständig zu lächeln scheint. Merkwürdigerweise hat er seinen Filzhut aufbehalten.
In solchen Hinterzimmern treffen sich in Rom Prälaten mit Vorliebe, wenn sie bei einem Glas Barolo und einer Tasse Mokka über Dinge sprechen wollen, die fremde Ohren nichts angehen und die man auf dem Gelände des Vatikans nicht einmal im Flüsterton auszusprechen wagen würde. Auch werden in diesen Hinterzimmern Intrigen zum Sturz der übermäßig Ehrgeizigen und zur Ächtung der Überheblichen verabredet, dort wird darüber entschieden, ob Mächtige entmachtet werden sollen oder nicht.
Giovanni setzt sich Kardinal Mendoza gegenüber. Ein Kellner füllt Sein Glas und stellt einen Teller mit, einer Süßspeise vor ihn hin. Auf die
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