Das Evangelium nach Satan
unternehmen, werden alle Geiseln umgehend erschossen. Wollen Sie das etwa?«
»Ich habe es nicht nötig, mich von einem Paten beleidigen zu lassen.«
»Wenn Sie diesen Raum verlassen, kommen Sie keine dreißig Meter weit.«
»Soll das eine Drohung sein?«
Der Alte stößt erneut ein Rauchwölkchen aus. Er lächelt nicht mehr. Kardinal Mendoza ergreift das Wort: »Patrizio, das Konklave steht unmittelbar bevor, und wir haben keine Sekunde zu verlieren. Vielleicht bleibt uns noch eine Möglichkeit, dem Schwarzen Rauch in den Arm zu fallen, aber dazu müssen wir rasch handeln. Geben Sie mir Gelegenheit, Sie zu überzeugen. Es wird nur einige Minuten dauern. Anschließend können Sie nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden, was zu tun ist.«
Giovanni, der gegen diesen Vorschlag nichts einzuwenden vermag, setzt sich wieder, nimmt sein Grappa-Glas zur Hand und leert es in zwei Zügen. Der Alkohol rinnt ihm wie Lava durch die Kehle. Er stellt das Glas wieder auf den Tisch und sieht Mendoza an.
»Sie können anfangen.«
9
»Haben Sie schon einmal von dem Netz gehört, das sich Novus Ordo nennt?«
»Nein.«
»Es handelt sich dabei um eine gegen Ende des Mittelalters gegründete, äußerst geheime Loge. Sie existiert nach wie vor und besteht aus den vierzig mächtigsten Männern und Frauen der Welt. Es ist eine Art Klub von Bankiers, Spitzenpolitikern und Großindustriellen, die über das Schicksal der Menschheit bestimmen. Niemand weiß, wer sie sind.«
»Sie wollen hier doch nicht etwa die Theorie von den ›Herren der Welt‹ aufwärmen?«
»Kardinal Giovanni, wer die Menschen davon überzeugen will, dass eine Sache nicht existiert, muss zuerst das Gerücht in Umlauf bringen, sie existiere sehr wohl und dann als Nächstes erklären, es handele sich dabei um ein bloßes Gerücht. Auf diese Weise wird alles, was wie ein Beweis aussieht, automatisch als Bestandteil des Gerüchts angesehen und verstärkt damit die Gewissheit, dass nichts an der Sache ist. Dieser Trick hat es Novus Ordo ermöglicht, im Laufe der Jahrhunderte völlig unbehelligt zu wachsen und sich zu entwickeln. Alle Welt hat von diesem Netz sprechen hören, aber genau wie Sie ist alle Welt überzeugt, dass alles, was man darüber sagt, auf Gerüchten beruht, die jeder Grundlage entbehren.«
»Soll das heißen, dass Novus Ordo eine Legende ins Leben gerufen hat, um sich besser dahinter tarnen zu können?«
»Ja, und zwar die Legende von den Illuminaten. Sie wissen schon, die angeblich mächtige Loge, die im Jahre 1776 der Jesuitenzögling Adam Weishaupt in Ingolstadt ins Leben gerufen hat. Die Elite der Elite. Novus Ordo hat diesen Mythos sogar mit einem Symbol geschmückt. Es besteht aus einer Pyramide, deren von der Basis getrennte Spitze durch das Auge des höchsten Wissens erleuchtet wird: unten die blinden Volksmassen und oben die wenigen, denen die Offenbarung zuteil geworden ist. Außerdem haben sie dies Symbol und den Wahlspruch der Illuminaten auf die amerikanischen Ein-Dollar-Scheine drucken lassen, damit jeder sie ständig vor Augen hat. Später haben sie dann das Gerücht ausgestreut, die Illuminaten seien an allem schuld. Hinter dieser Nebelwand konnte Novus Ordo in aller Ruhe und völlig ungestört sein Unwesen treiben.«
»Von mir aus. Was hat das mit dem Schwarzen Rauch zu tun?«
»Er, und nur er hat am Ausgang des Mittelalters Novus Ordo gegründet, und wir haben Grund zu der Vermutung, dass seine Kardinäle, auf jeden Fall aber sein Großmeister, dieser Führungsgruppe angehören.«
»Soll das heißen, der Schwarze Rauch ist nichts anderes als der vatikanische Ableger von Novus Ordo?«
»Dazu ist er im Lauf der Jahrhunderte geworden: Teil eines riesigen Ganzen, das er einst selbst ins Leben gerufen hatte. Aber kein x-beliebiger Teil, denn er ist für die in den Augen von Novus Ordo wichtigste Aufgabe vorgesehen.«
»Und die wäre?«
»Die Kirche von innen zu zerrütten. Erst wenn das geschieht, kann Novus Ordo über die ganze Welt herrschen.«
»Das ist doch völlig absurd.«
»Nein, Patrizio, es sind nur Gerüchte.«
Schweigen.
»Wie hat das Ganze angefangen?«
»Am 13. Oktober 1307, an dem in ganz Frankreich die Tempelritter eingekerkert wurden, haben in den Vatikan eingedrungene Beauftragte des französischen Königs die meisten der Kardinäle getötet, die sich zu jenem Orden bekannten. Sieben von ihnen, darunter die mächtigsten, sind diesem Strafgericht entgangen, weil man nicht wusste, dass auch sie zu jenen
Weitere Kostenlose Bücher