Das Evangelium nach Satan
dreißig Schritt entfernt. Der Direktor des FBI zieht unter dem Tisch seine Waffe und entsichert sie.
»Hier Scharfschütze eins. Ich erwarte Ihre Anweisungen.«
Crossman runzelt die Stirn, als das Licht einer Straßenlaterne auf die Gestalten fällt. Die Züge des Alten lassen sich deutlich erkennen.
»An Scharfschütze eins. Nicht schießen.«
»Bitte um Bestätigung.«
»Ich bestätige: Auf keinen Fall schießen!«
Der Alte ist ganz nahe. Seine Leibwächter warten auf dem Gehweg, während er, auf den Stock gestützt, die Stufen zur Terrasse des Restaurants hinaufsteigt. Er lächelt, als er sich zu Crossman setzt.
»Guten Abend, Stuart.«
»Guten Abend, Dom Gabriele.«
2
In der Straße von Malta, vier Uhr
Am Bug des Fischkutters, dessen altersschwacher Motor sich lärmend quält, steht Kardinal Giovanni und hebt den Blick zum Sternenhimmel. Der Vollmond erhellt die Nacht mit eigentümlich goldenem Glanz. Weit voraus ist die Küste Maltas zu erkennen. In einer Stunde wird das Boot in den Hafen von La Valetta einlaufen. Zuvor wird es einige Seemeilen vor der Küste die Netze auswerfen, um mögliche Beobachter glaubwürdig hinters Licht zu führen. Erst dann können Dom Gabrieles Männer ihre menschliche Fracht an Land setzen.
Giovanni steckt eine Hand in die Tasche seiner Soutane. Ja, der Umschlag von der Lazio-Bank ist darin. Er enthält eine weißliche Plastikkarte mit einem Chip, der ihm Zutritt zur Bank verschafft, vorausgesetzt, er gibt ein elfstelliges Kennwort ein und weist sich mit einem chromonumerischen Schlüsselwort aus. Ein ausschließlich aus Buchstaben bestehender dritter Code – die Inschrift auf der Rückseite des Kreuzes der Armen, das Kardinal Valdez mit in den Umschlag gelegt hat – öffnet den von ihm gemieteten Safe. Das mit Rubinen besetzte schwere Kreuz trägt Kardinal Giovanni unter der Soutane an einer Silberkette um den Hals. Er hofft inständig, dass die Bedeutung und der Wert der in jenem Safe befindlichen Unterlagen den Verlust des einzigen Verbindungsmannes aufwiegen, den der Vatikan je in die Bruderschaft vom Schwarzen Rauch hat einschleusen können.
Giovanni merkt, dass jemand hinter ihn getreten ist. Er sieht sich um. Es ist Hauptmann Cerentino von der Schweizergarde, der darauf bestanden hat, ihn zu seinem Schutz zu begleiten. Nach kurzem Zögern hatte sich Kardinal Mendoza damit einverstanden erklärt. Mit lauter Stimme, um das Geräusch des Motors zu übertönen, sagt der Schweizer: »Es wird hell, Eure Eminenz. Da sollten wir lieber unter Deck gehen. Sie können sich denken, dass eine Soutane mit Purpursaum an Deck eines Fischkutters auffällt. Die Sizilianer rechnen mit der Möglichkeit, dass jemand Sie durch ein Fernglas sehen könnte.«
Ohne zu antworten, schaltet der Kardinal das Mobiltelefon ein, das ihm Dom Gabriele in Rom mit dem Hinweis gegeben hat, alle Mobiltelefone der Cosa Nostra seien über ein eigenes Netz von Antennen und Umsetzern miteinander verbunden, die noch in den entferntesten Winkeln der Halbinsel einwandfreien Empfang garantierten. Italiens öffentliche Telefonnetze, hatte er hinzugefügt, werde von Angehörigen der Mafia ausschließlich für Mitteilungen benutzt, die dazu dienten, die Polizei auf eine falsche Fährte zu locken.
Er schaltet das Telefon ein. Dom Gabriele hatte ihm gesagt, er solle um Punkt vier Uhr dreißig den Wahl-Wiederholungsknopf drücken. Giovanni sieht auf die Uhr. Noch eine Minute. Die Schwingungen des Decks unter seinen Füßen werden langsamer und bleiben dann ganz aus. Die Sizilianer haben den Motor abgestellt, sodass das Boot allmählich an Fahrt verliert. Gleich werden sie ihre Netze auswerfen. Der Mond verschwindet hinter Wolken. Die Nacht wird blau. Einen Augenblick lang sieht der Kardinal zu den Lichtern der vor ihm liegenden Insel Malta hin. Dann drückt er den Knopf, der dafür sorgt, dass automatisch eine Verbindung zur zuletzt gewählten Nummer hergestellt wird.
3
Dom Gabriele rollt sich eine Zigarette und steckt sie sich zwischen die Lippen. Crossman gibt ihm Feuer. Der alte Mann hustet.
»Nun, Stuart, hast du mich überhaupt erkannt? Es ist so lange her …«
»Wie könnte ich Sie vergessen? Sie waren einer der gefährlichsten Paten der Cosa Nostra, als Sie sich wegen einer Auseinandersetzung mit der Camorra nach Amerika abgesetzt haben. Sie haben uns ganz schön in Atem gehalten.«
»Ich weiß noch genau, wie du mich als Leiter des Büros der Bundespolizei in Baltimore beinahe wegen
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