Das Evangelium nach Satan
Erinnerst du dich an unsere letzte Begegnung in Abidjan? Da hast du mir ganz schön zugesetzt und hättest mich fast gekriegt. Bei der Gelegenheit habe ich gemerkt, dass du so weit warst. Also habe ich immer verrücktere Fälle von Besessenheit ausgelöst, um dich bis nach Amazonien zu locken.«
»Und was war mit Manaus?«
»Was soll mit Manaus gewesen sein?«
»Ich hatte dich da doch im Leichnam von Pater Jacomino eingesperrt. Wie bist du da rausgekommen?«
»Als er tot war, musste ich nur noch warten, bis ihn seine Seele verlassen hat, um sich vor dem anderen zu präsentieren.«
»Dem anderen?«
»Der überhebliche Alte, dem ihr seit Jahrhunderten egal seid.«
»Gott?«
»Ja. Ich darf den Namen nicht sagen.«
»Und dann?«
»Wahrscheinlich hatte dein Jacomino eine Seele, die schwärzer war als ein Kohlenflöz.«
»Heißt das, er ist der Verdammnis anheimgefallen?«
»Absolut. Du siehst, dein Versöhnungssakrament hat ihm nichts genützt. Und weil es deshalb ungültig war, konnte ich mich aus seiner toten Hülle befreien.«
»Willst du damit sagen, dass Gott die Sünden nicht erlässt, die wir Priester auf der Erde vergeben?«
»Deine Einfalt langweilt mich, Carzo. Der Alte hasst euch, und ihr ahnt das nicht. Als Er seinen Sohn auf die Erde geschickt hat, hatte Er mit euch Menschen etwas vor. Aber Er hat die Partie verloren. Seitdem sind Ihm die Menschen so wichtig wie dem Ozean die Wassertropfen, aus denen er besteht. Soll ich dir sagen, was nach dem Tod kommt?«
»Nur zu.«
»Nach dem Tod fängt es von vorn an.«
»Was fängt von vorn an?«
»Die Toten umgeben euch. Sie sind alle da. Sie leben, ohne euch zu sehen. Sie erinnern sich nicht an euch. Sie führen ein anderes Leben, das ist alles. Darin besteht die Verdammnis. Im Nicht-Totsein, im ewigen Wiederbeginn. Willst du mit deiner Mutter reden? In ihrem neuen Leben ist sie ein hirngeschädigtes kleines Mädchen. Die kleine Adoptivtochter von Martha Jennings.«
»Hau ab, Kaleb.«
14
Der Zug setzt seinen Weg durch die Nacht fort. Schaukeln und Knirschen.
»Nun, Carzo, was tut ein Exorzist, um böse Geister aus sich selbst zu vertreiben?«
»Gegrüßet seist du Maria, voll der Gnaden. Der Herr ist mit dir …«
»Und Janus, die Frucht deines Leibes, ist verflucht. Hör auf, Carzo, das kitzelt!«
Kaleb bricht in Lachen aus. »Glaubst du ernsthaft, dass du es schaffst, mich mit Worten zu vertreiben?«
»Credo in unum deum patrem omnipotentem …«
»Ich glaube an den ewigen Abgrund, aus dem alles Seiende und alles Nicht-Seiende kommt, den einzigen Schöpfer der sichtbaren und unsichtbaren Welten.«
»Pater noster qui es in caelis …«
»Gott ist nicht im Himmel, sondern in der Hölle, Carzo. Er gebietet den Dämonen und den verdammten Seelen, er gebietet den Geistern, die in der Finsternis umherirren.«
Carzo spürt, wie ihn die Kräfte verlassen und sein Bewusstsein verfliegt. Er weiß, dass er verloren hat, wenn er jetzt loslässt. Genau das ist Kalebs Ziel: Carzo soll aufgeben, weil er sich seiner auf alle Zeiten bemächtigen will. Ein unsterblicher Geist in einem toten Körper. Eine Leiche, die Kaleb auf irgendeinem Trümmergrundstück ablegen oder in einem alten Brunnenschacht versenken wird, wenn er das Äußere dieses Menschen nicht mehr benötigt. Dann blättert der Priester in Gedanken die Seiten des Ritus der Finsternis um, den er in der Kathedrale von Manaus in der Hand haute. Gegen einen so mächtigen Geist wie Kaleb gibt es keine andere Möglichkeit.
»Das wird dir auch nichts nützen, Carzo.«
Der Priester zuckt zusammen. Der Seelenräuber liest in seinen Gedanken. Nein, er denkt gleichzeitig mit ihm.
»Soll ich dir sagen, warum?«
»Nein.«
»Weil dein Glaube tot ist, Carzo.«
»Du lügst.«
»Er ist gestorben, als du die Darstellungen im Aztekentempel gesehen hast. Er ist in dem Augenblick gestorben, in dem du vor mir niedergekniet bist und den Namen Satans angebetet hast. Er ist gestorben, als du Maria der Dunkelheit überlassen hast.«
»Maria …«
»Lass es gut sein, du kannst nichts machen.«
Doch. Eins kann er noch tun, es zumindest versuchen. Er schließt die Augen und konzentriert sich mit aller Kraft. Kaleb fährt zusammen.
»Was machst du da, Carzo?«
Der Priester hat mit größter Anstrengung weit hinten in der Finsternis, die Kalebs Geist anfüllt, einen winzigen Lichtschimmer entdeckt. Eine Kerze, deren Flamme in der Dunkelheit zittert. Je mehr er sich konzentriert, desto größer wird der
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