Das Evangelium nach Satan
wie sich diese Angst in ihren Adern ausbreitet.
»Wann?«
»Vor einer halben Stunde. Meine Leute haben ihre Fährte auf einer der Straßen durch den Wald von Oxborne verloren. Wir treffen uns an der Wegkreuzung von Hastings. Ich schick dir einen Wagen. Spring rein und komm.«
Schweigen.
»Verdammt noch mal, Parks, schlaf bloß nicht wieder ein!«
Maria legt auf und hört einige Sekunden lang im Dunkeln zu, wie der Regen gegen die Fenster prasselt. Der Wind stöhnt in den Trauerweiden entlang der Straße. Sie konzentriert sich. Rachel, eine blonde Polizistin von zwanzig Jahren, eine fröhliche, draufgängerische junge Frau. Genauso war Maria in dem Alter gewesen.
Rachel hatte sich freiwillig gemeldet, um den Grabschändungen auf den Friedhöfen der Umgebung nachzugehen, die sich in letzter Zeit häuften: Gräber wurden geöffnet und Särge zerschlagen. Dutzende von mehr oder weniger stark verwesten Leichen waren verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Die Leute erzählten sich, in der Gegend habe sich eine satanistische Sekte niedergelassen, die für ihre schwarzen Messen Leichen benötige. Allerdings hatte die Polizei nicht den geringsten Hinweis auf ein derartiges Treiben entdeckt. Nirgendwo sah man kabbalistische Zeichen, Pentagramme oder lateinische Grafitti. Sonderbarerweise fand man in der weichen Erde der Gräber keinerlei Fußspuren. Dann hatten die Grabschändungen ebenso plötzlich aufgehört, wie sie eingesetzt hatten, doch begannen dafür einige Wochen später, lebende Menschen aus der Umgebung von Hattiesburg zu verschwinden. So wusste man beispielsweise nichts über den Verbleib von vier alleinstehenden jungen Frauen von außerhalb, die in Hattiesburg oder in der Nähe Arbeit gefunden hatten. Die Untersuchung dieser Fälle hatte Rachel übernommen.
Mary-Jane Barkos Verschwinden war anfangs niemandem weiter auffällig erschienen. Es war nicht ungewöhnlich, dass eine junge Frau aus Liebeskummer möglichst weit fortzog, und so etwas hatte man auch bei ihr angenommen. Doch als eine Woche später Patricia Gray, dann Dorothy Braxton und schließlich Sandy Clarks verschwanden, ohne sich von irgendeinem ihrer Bekannten zu verabschieden, begann man, sich Fragen zu stellen.
Es war jetzt drei Tage her, dass Jäger am Rande des Waldes von Oxborne blutbefleckte zerfetzte Kleidungsstücke gefunden hatten, die Mary-Jane Barko unmittelbar vor ihrem Verschwinden getragen hatte: eine Jeans, einen Pullover, ein Höschen und einen BH. Es dauerte nicht lange, bis das Gerücht umlief, ein Mörder mache die Wälder des Bezirks Hattiesburg unsicher, und bestimmt habe der auch die Toten aus den Gräbern geholt. Daraufhin war unter der Bevölkerung Panik ausgebrochen, und Rachel hatte sich darangemacht, die Sache aufzuklären. Jetzt also war sie selbst verschwunden.
Maria drückt ihre Zigarette aus und geht ins Bad. Sie zieht das Nachthemd aus, stellt sich unter die Dusche und zittert, als der heiße Strahl ihre Haut trifft. Sie schließt die Augen und versucht ihre Erinnerungen zu sammeln. Das verdammte Schlafmittel …
15
Special Agent Maria Parks hatte an ihrem Geburtsort Hattiesburg ein Ferienhäuschen erworben. Als sie wieder einmal dort Urlaub machte, war sie im Gemeindeboten auf eine kurze Meldung über die Morde gestoßen. Daraufhin hatte sie den Sheriff Alois Bannerman angerufen und ihm ihre Unterstützung angeboten. Ach ja, der dicke Bannerman …
Sie hatten dieselbe Schule besucht, auf denselben Plätzen gespielt und waren sonntags in dieselbe Kirche gegangen. Einmal hatten sie sogar, nachdem sie in einem Stehimbiss Chili con carne gegessen hatten, auf dem Rücksitz seines alten Buick, der nach Pferdemist und kaltem Tabakrauch roch, miteinander geknutscht. Eine klebrige Umarmung, bei der sich seine Zunge um ihre gerollt hatte. Als er ihr dann mit der Hand zwischen die Beine gefahren war, um ihr durch den Stoff ihrer Jeans hindurch näher zu kommen, hatte sie einen durchdringenden Schrei ausgestoßen. Das könnte ihm so passen, sie mir nichts dir nichts in einer alten Karre zu entjungfern! Sie war nicht wie die anderen Mädchen aus der Gegend, die einfach die Augen zumachten, um nicht einsam alt werden zu müssen! Bannerman war sauer gewesen. So sind die Männer nun mal.
Später dann war sie aus Hattiesburg in die große Stadt Boston mit ihren Wolkenkratzern gezogen, hatte in Yale Jura studiert, ihren Magister in Psychologie gemacht und war dann beim FBI eingetreten. Dort wurde sie als Profilerin für das
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