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Das Evangelium nach Satan

Das Evangelium nach Satan

Titel: Das Evangelium nach Satan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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unter ihrer Schädeldecke als riesigen Wüstenplaneten vorzustellen. Die grünen Oasen darin waren die Gebiete, in denen die Neuronen von der Geburt des Menschen an aktiv und beispielsweise für Sprache, Verstehen, die Koordination von Bewegungen und den Gleichgewichtssinn zuständig sind. Winzige Bereiche inmitten von Milliarden Quadratkilometern Sandfläche ohne das geringste Leben. Eines Tages dann schlägt irgendwo in dieser Wüste ein Blitz ein, wie das am Tag von Marias Unfall geschehen war. In Umkehrung der Naturgesetze war dem Donnerschlag, mit dem die Windschutzscheibe vor ihrem Gesicht zerborsten war, ein grell zuckender Blitz am Himmel gefolgt, dann war sie ins Nichts gesunken.
    Im Maßstab des Universums dürfte die elektrische Entladung, die den toten Bereich in den Wüstenregionen von Marias Gehirn mit beträchtlicher Energie getroffen und zum Leben erweckt hatte, wohl einem Blitz von mehreren Dutzend Kilometern Länge entsprechen. Seither breitete sich diese Energie ihrer festen Überzeugung nach immer weiter unter ihrer Kopfhaut aus, leuchteten bis dahin leblose Neuronen eins nach dem anderen auf wie Milliarden Laternen in einer zuvor finsteren Umgebung. Darin sah sie den Grund dafür, dass es für sie immer schwerer wurde, ihre Visionen zu beherrschen.
    Die Tabuzonen im Gehirn, die diese Visionen steuern … Maria versucht, den Kloß von Angst aufzulösen, der ihr in der Kehle sitzt. Was mochte neben dieser ersten einst toten und jetzt aktivierten Zone liegen? Etwa eine, die es uns ermöglicht, die Gedanken anderer zu lesen, Gleichungen mit tausend Unbekannten im Kopf zu lösen oder mit der bloßen Kraft der Gedanken Möbelstücke zu verrücken? Ein Migräneanfall fährt ihr stechend in die Schläfen.
    Sie blickt zum Fenster. Die Nase der 73 7 zeigt leicht nach unten, der Steigflug ist beendet. Der Pilot nimmt den Schub zurück, der Lärm der Triebwerke wird zu einem Flüstern. Maria muss die Augen schließen, weil das schimmernde Metall der Flügel die Sonnenstrahlen aus dem tiefblauen Himmel grell zurückwirft. Die Wolkendecke unter ihr ist so dicht, dass man glauben könnte, die Welt sei unter einer Schneeschicht verschwunden.

11
    Maria lehnt den von der Flugbegleiterin angebotenen Imbiss ab und begnügt sich mit einem Apfel und einer Flasche Mineralwasser. Dann vertieft sie sich in die Unterlagen, die ihr der Direktor des FBI am Flughafen übergeben hat. Zweihundert Seiten mit zahllosen Anmerkungen auf kleinen gelben Klebezetteln. Sie seufzt: Crossman nimmt sich nie die Zeit, Informationen zu komprimieren..
    Die ersten Seiten beschreiben den Einsatz des FBI in der Krypta. Geleitet hat ihn Special Agent Browman. Kein Weichei, und auf gar keinem Fall jemand, der lange fackelt, wenn es eine Kollegin zu retten gilt.
    Die nächsten Blätter enthalten Fotos, die unmittelbar nach dem Einsatz aufgenommen worden sind. Auf einem davon hat Browman in Siegerpose einen Fuß auf Kalebs Leiche gesetzt und reckt triumphierend sein Sturmgewehr. Bei Licht besehen ist Browman wohl doch ein Dreckskerl.
    Weiter. Beim Anblick der Fotos, auf denen die in ihrer Bank festgenagelte Rachel zu sehen ist, krampft sich Marias Herz zusammen. So tief hatte Kaleb die Nägel ins Holz getrieben, dass man es durchsägen musste, um Rachels Gliedmaßen loszubekommen. Maria schließt die Augen und hört sie schreien, hört ihre bloßen Füße im Farnkraut, ihr entsetztes Schluchzen, ihre Hilferufe. Eine letzte Erinnerung, die sich auflöst wie eine Nebelbank im Sonnenschein.
    Auf den nächsten Bildern sieht sie sich selbst am Kreuz. Sie war wohl gerade ohnmächtig geworden, und der Polizeifotograf hatte sie aus allen Winkeln aufgenommen, während man sie vom Kreuz abnahm. Ihr wird übel, als sie sich auf einer Aufnahme nackt vor den beiden Balken sieht. Blut rinnt ihr aus Hand-und Fußgelenken. Sie hat das unangenehme Empfinden, Bilder zu betrachten, die einen anderen Menschen zeigen. Ein ebenso anonymes Opfer wie die von Serienmördern, mit denen sie im Laufe der Zeit zu tun hatte.
    Die vier Nonnen an den anderen Kreuzen scheinen in die Dunkelheit zu starren. Ihre verwesten Gesichter wirken im harten Blitzlicht übermäßig bleich. Vier verstümmelte, ausgemergelte Gespenster, und sie selbst, in der Mitte, nackt und von Blut bedeckt.
    Sie blättert weiter. Die letzte Abteilung des Ordners enthält die Ergebnisse der Nachforschung, die Crossman und seine Leute während der Zeit durchgeführt hat, in der sie sich im Krankenhaus

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