Das ewige Leben
dir sagen: Vielleicht geht es den beiden besser als mir.«
»Moment!« Und dann war der Brigadier eine Zeit lang still und hat nachgedacht, und dann:
»Moment, Brenner. Moment.«
Und beim nächsten »Moment« hat der Brenner es dann kapiert.
»Moment.«
Weil wenn jemand einen Schlaganfall bekommt, das merkt man nicht immer gleich. Oft merkt es der Betroffene sogar selber nicht. Du bist schon mitten im Schlaganfall und machst noch Pläne. Du freust dich noch auf die Zukunft, obwohl du schon Vergangenheit bist. Du liest noch ein Buch, obwohl der Schlaganfall dir schon das Licht abdreht. Das ist verhext. Du fühlst dich noch gut, aber nur, weil du um eine Sekunde zu sehr in der Vergangenheit lebst.
Jetzt hat der Brigadier Aschenbrenner noch »Moment« gesagt, wie die Soili schon die Rettung verständigt hat. Der hat noch »Moment« gesagt, wie sie ihn in den Notarztwagen hinuntergetragen haben.
Und ob du es glaubst oder nicht. Der Brenner kein Mitleid. Er hat das Gefühl gehabt, dass er den Kripochef rein mit seiner Wut außer Gefecht gesetzt hat.
Im Nachhinein muss man sagen, mein Gott, warum soll der Brenner nicht auch einmal seine größenwahnsinnigen fünf Minuten haben. Er hat es ja erst viel zu spät verstanden, was den Aschenbrenner so aufgeregt hat, dass er gleich einen Schlaganfall gekriegt hat.
7
So schnell kann sich eine Situation umdrehen. Jetzt ist der Kripochef im Koma gelegen, und der Brenner war auf der Suche nach den beiden verschwundenen Zigeuner-Zeugen. Weil was hätte er sonst tun sollen, als die Schlinge um den Hals vom Aschenbrenner enger ziehen, während die Ärzte auf der Intensiv um sein Leben kämpfen.
Möchte man meinen, nichts leichter, als einen Bettler auf der Straße ansprechen, und der Brenner hat das zuerst auch geglaubt. Er hat dann aber gleich gemerkt, dass er eine gewisse Hemmung hat.
Die ersten Tage hat er sich nicht recht hingetraut, und er hat sie zuerst einmal nur beobachtet, da ist der Brenner schön gewandert von Zigeuner zu Zigeuner, Wanderlust nichts dagegen. Weil ich sage immer, lustig ist das Detektivleben, du kannst durch die Stadt spazieren, Murgasse, Sporgasse, Färbergasse, Landhausgasse, Herrengasse, Sackstraße und, und, und, der Zigeuner aber muss fix an seinem Platz knien.
Aber glaubst du, er hätte auch nur einen von ihnen angesprochen? Nichts da. Nur gewandert. Vielleicht ist es ihm auch noch ein bisschen in den Knochen gesessen, dass die letzte Person, mit der er geredet hat, einen Schlaganfall bekommen hat, quasi Unglücksbringer, dass er da womöglich schon ein wahnsinnig schlechtes Selbstbild gehabt hat. Und natürlich Angst, die Zigeuner könnten es ihm ansehen, dass er ein Unglücksbringer ist.
Aber ich sage, man soll nicht immer gleich mit Selbstbild und Unglücksbringerei daherkommen, wenn es genug einfache Erklärungen für etwas gibt. Manchmal geht mir dieses Gerede mit Selbstbild und ding schon auf die Nerven, wo sich die Leute, denen man ihr viel zu gutes Selbstbild schon an der Nasenspitze ansieht, immer über ihr viel zu schlechtes Selbstbild beklagen. Dabei hat ein negatives Selbstbild in den meisten Fällen durchaus seine Berechtigung, und negatives Selbstbild sogar oft das einzig Positive an einem Menschen, und das will er auch noch ablegen.
Der Brenner selber hat gerade in letzter Zeit wieder viele gute Seiten an sich entdeckt, seit er sich fast nur noch mit den Augen der Soili angeschaut hat. Und da hat er mit den Gedanken der Soili über den Polizeischulkollegen von ihrem kranken Mann gedacht: ein interessanter Mann, Geheimnis und alles. Also warum traut er sich die Zigeuner wirklich nicht anreden? Sehr einfache Erklärung: erstens sprachliche Probleme, zweitens grundsätzliche Scheu vor dem Fremden, drittens geht dich nichts an, viertens, man spricht nicht gern einen knienden Menschen an.
Weil das hat er auf seinen Wanderungen festgestellt. Das Knien hat irgendwie Aggressionen in ihm ausgelöst. Das ist ja beim Betteln allgemein das Interessante, es löst bei allen Beteiligten Aggressionen aus. Der eine ärgert sich, dass er betteln muss, der andere ärgert sich, dass er was hergeben soll. Aber eines ist dem Brenner aufgefallen. Auch bei den Bettlern gibt es solche und solche. Nicht nur bei der Polizei, wo es sehr auffällig ist, der eine ist ein Zweihundertprozentiger, der sich nicht einmal ins Ehebett ohne seinen Pfefferspray legt, der andere ist wieder recht locker und macht seiner Frau nicht einmal die normalen
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