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Das ewige Leben

Das ewige Leben

Titel: Das ewige Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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Vorwürfe.
    Bei den Bettlern geht es weniger um den Spray, da geht es mehr um die Haltung. Weil manche stellen sich recht demütig hin, und das finde ich in Ordnung, und auf den Gehsteig hinsetzen ist für mich auch kein Problem, Hut auch in Ordnung, Schild in Ordnung, Rechtschreibfehler am Schild in Ordnung, und ich sage, von mir aus, wenn es sehr kalt ist und er den Hut unbedingt aufsetzen will, soll er meinetwegen, wenn es gar nicht anders geht, die Hände ausstrecken, schön zum Teller geformt, dass man ihm da eine Münze in den bettelnden Handteller hineingibt, das ist von mir aus auch noch in Ordnung.
    Aber dann ist irgendwann die Mode mit dem Knien aufgekommen. Das ist fürchterlich. Knien fürchterlich, mit den Händen bittebitte machen auch fürchterlich. So einer kriegt von mir keinen Groschen. Der Brenner hat es auch nicht gemocht. Aber das war eben noch seine gute Zeit, wo er noch nicht gewusst hat, dass er bald selber bittebitte machen wird.
    Pass auf, bei den Bettlern in der Innenstadt hat er zuerst überhaupt nichts erfahren. Und im Vinzidorf, wo die Bettler und Obdachlosen eine Unterkunft in Graz gefunden haben, sind die beiden Stadion-Bettler auch nicht bekannt gewesen.
    Aber der Brenner hat sich dann an die Handleserin erinnert, von der ihm der Tomas erzählt hat, dass sie ihm notfalls seine Vergangenheit aus der Hand lesen kann, falls der Brenner sich nicht mehr daran erinnert.
    Er ist dann noch einmal nach Puntigam links hinüber, weit war es ja nicht entfernt von seinem Großelternhaus, und hat den Tomas nach der Adresse gefragt.
    Aber der Tomas hat nur gelacht. »Adresse hat die keine. Die wohnt in einem Campingwagen.«
    »Und wo finde ich den?«
    »Hinter dem Ostbahnhof. Da stehen mehrere Wägen, aber nur einer ist ganz bunt angeschmiert, und in dem wohnt die Mirjam. Das ist noch eine richtige Handleserin. Nicht irgend so eine -« Der Tomas hat blöd gegrinst und eine verächtliche Handbewegung gemacht, quasi: Nicht irgend so eine höhere Tochter, der ihr gutes Haus aufs Hirn gefallen ist, und jetzt macht sie Handlesen.
    Du musst wissen, Handlesen, Horoskop, Feng Sushi, das sind heute weit verbreitete Krankheiten, wo man aufpassen muss, dass man sich nichts holt. Da wird viel eingeschleppt durch den Sioux-Tourismus, wo sie extra nach Amerika fliegen, damit sie den Indianern auf den Geist gehen, weil eine Ärztin macht im zweiten Bildungsweg Handlesen, oder ein Bankdirektor ist einfach froh, wenn er weiß, meine Frau ist beim Voodoo gut aufgehoben.
    Darum war der Brenner dem Tomas jetzt auch so dankbar für den guten Tipp. Weil eine Grazer InnenstadtHandleserin wird ihm nicht nur seine Zukunft falsch sagen, die wird ihm vor allem nicht sagen können, wo die Zeugen hin verschwunden sind.
    Dann hat er zum ersten Mal seit dem Krankenhausaufenthalt wieder sein Moped aus dem Verschlag hinter der Werkstatt geholt. Gut war das bestimmt nicht für ihn, dass er jetzt schon wieder mit dem Moped gefahren ist. Aber so ist er jetzt am einfachsten zu der Handleserin hinter dem Ostbahnhof hinausgekommen.
    Gefunden hat er den Campingwagen leicht, und wie er an die Tür geklopft hat, ist ihm schon so ein komisches Gefühl in die Hand gefahren. Weil im Handteller ist der Mensch irgendwie verletzlich, du hast die Zukunft drinnen, du hast die Vergangenheit drinnen, und da gibt es in Italien sogar den einen oder anderen Heiligen, der an den hohen Feiertagen blutende Wunden in seinen Händen kriegt wie der reinste Jesus.
    Campingbus würde mir auch gefallen, hat der Brenner überlegt, während er ein bisschen fester geklopft hat, weil die Handleserin hat ihren Fernseher so laut aufgedreht gehabt, dass sie ihn nicht klopfen gehört hat. Dass es so was gibt, den Brigadier Aschenbrenner hat er um sein Paradies nicht beneidet, aber die Zigeunerin beneidet er um den völlig vergammelten Campingbus. Weil auf einmal ist ihm eingefallen, warum er nach seiner Rückkehr nach Puntigam in so eine negative Stimmung hineingekommen ist, dass der Dr. Bonati sogar auf die Idee verfallen ist, er wollte sich selber erschießen. Ob du es glaubst oder nicht, das Haus war es, was ihn so deprimiert hat. Das Haus von seinen Großeltern, in das er letzten Herbst wieder eingezogen ist. Weil so ein Haus, das ist unten am Boden angewachsen, und das hat etwas Deprimierendes.
    Wenn du das nicht verstehst, kann ich dir auch nicht helfen.
    Der Brenner hat mit aller Gewalt an die Scheibe gedroschen. Aber siehst du, wenn der Bewohner nicht tot ist,

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