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Das ewige Leben

Das ewige Leben

Titel: Das ewige Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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dreißig Jahren aufgehört haben.
    Der Kripochef hat dem Brenner seine Walther hingehalten: »Mit der ist jedenfalls noch nie geschossen worden. Das lässt sich jederzeit beweisen. Falls ihr auf blöde Gedanken kommt.«
    »Behauptet ja auch niemand«, hat der Brenner gesagt.
    »Dann ist es ja gut.«
    »Wenn du mit dem Köck ein Problem hast -«, hat der Brenner gesagt.
    »Ich hab kein Problem.«
    »Dann ist es ja gut«, hat der Brenner gesagt.
    Das Gespräch dürfte den Grazer Kripochef irgendwie beruhigt haben, weil er ist dann wieder verschwunden, ohne dass er dem Brenner eine Kugel in den Kopf geschossen hat. Unglaublich, mit dem Schmerz ist dem Brenner alles so in sein Hirn geschossen, als wäre es nie weggewesen.
    Nachdem der Kripochef verschwunden war, ist der Brenner noch eine Zeit lang allein am Küchentisch unter der Neonröhre gesessen und hat ein bisschen darüber nachgedacht, dass er kein Problem hat. Er hat eigentlich wirklich kein Problem gehabt, kein Krebs, keine Familie, kein Chef, kein gar nichts. Aber zwischen vier und fünf Uhr früh können sich die Gedanken ganz sonderbar umdrehen, und du bildest dir plötzlich ein: Mit Problem hätte ich weniger Probleme als so ganz ohne Problem.
    Und du darfst eines nicht vergessen. Er hat beim Köck zu viel Puntigamer getrunken, und der Alkohol hat den Brenner gern ein bisschen nachdenklich gemacht, das hat ihm die Handleserin wahrscheinlich durch die Blume sagen wollen, sprich durch die Melodie.
    Aber begriffen hat der Brenner es erst jetzt. Er ist dann um zehn vor fünf auf den Dachboden hinauf, weil es hätte ihn interessiert, ob er seine uralte Walther auch noch irgendwo findet. Nach ein paar Minuten hat er sie schon gehabt. Die war nach dreißig Jahren auf dem trockenen Dachboden in einem so tadellosen Zustand, dass es ihn nicht gewundert hätte, wenn sie noch funktioniert hätte. Eine Schallplatte aus der Zeit hat er auch gefunden, und in der Küche ist ja noch das Steinzeitradio von seinen Großeltern gestanden, wo oben ein Deckel war, und wenn man den Deckel aufgemacht hat, Plattenspieler. Also mehr so ein Dosenöffner war das, aber dafür nicht zum Umbringen, jetzt hat der Brenner die Platte aufgelegt. Pass auf, das kannst du dir ruhig zwischendurch einmal anhören.
    The rooms were so much colder then.
    My father was a soldier then.
    And times were very hard. When I was young.
    Ein wahnsinnig gutes Lied, obwohl es nicht einmal vom Jimi Hendrix war. Der Brenner hat es gar nicht glauben wollen, dass es früher so gute Lieder gegeben hat, jetzt hat er noch ein bisschen lauter aufgedreht.
    I smoked my first cigarette at ten.
    And for girls I had a badyen.
    And I had quite a ball. When I was young.
    Mein lieber Schwan! Das orientalische Gedudel dazwischen hat dem Brenner so gefallen, dass er noch ein bisschen lauter gedreht hat.
    When I was young it was more important.
    Pain more painful and laughter much louder, yeah.
    When I was young.
    Jetzt war es so weit, dass der Brenner mit dem Eric Burdon um die Wette gesungen hat:
    I met my first love at thirteen.
    She was brown andI waspretty green.
    And I learned quite a lot. When I was young.
    Er hat die Lautstärke endgültig bis zum Anschlag aufgedreht. Und nicht dass du glaubst, die alten Radios sind nicht laut gegangen. Sonst hätte jetzt nicht das Geschirr von der Großmutter in der Kredenz so mitgezittert, dass er von dem unguten Geräusch auf einmal ganz wahnsinnig Schädelweh bekommen hat.
    When I was young it was more important.
    Pain more painful and laughter much louder, yeah.
    When I was young.
    Du wirst sagen, schönes Lied, und ich muss auch sagen, das kann man sich ohne weiteres zwei-, dreimal hintereinander anhören, das kann man sich sogar fünfmal hintereinander anhören. Aber vielleicht doch nicht ganz normal, dass man es sich zwischen fünf und Viertel nach sechs ungefähr dreißigmal hintereinander auf voller Lautstärke anhört.
    Obwohl man ja sagen muss, das hat ihm eigentlich das Leben gerettet. Weil der Hausgeist oben im Mansardenzimmer ist natürlich schon senkrecht in seinem Bett gestanden, wie der Brenner den Eric Burdon zum ersten Mal voll aufgedreht hat. Und vielleicht wäre der Hausgeist dann vom Schuss allein gar nicht aufgewacht, oder nur kurz, hätte sich womöglich umgedreht und weitergeschlafen.
    Diese Überlegung hat den Brenner jetzt beschäftigt, wie er an der glitzernden Mur entlangmarschiert ist, und er hat sich geärgert, dass man ein derart gutes Lied derart oft und

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