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Das ewige Leben

Das ewige Leben

Titel: Das ewige Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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Boden nicht richtig.
    Er selber ist sich auch wie ein Gespenst vorgekommen, also eigentlich muss man fast sagen, alles in Ordnung, weil Gespenst in einer Geisterstadt, das passt zusammen.
    Er ist an der Mur entlangspaziert, die hat auch so komisch geleuchtet, als hätte sie eine Taschenlampe verschluckt, und er hätte sich nur gewünscht, dass endlich die Stadt wieder normal aus der Wäsche schaut. Aber nichts da, der Asphalt, auf dem er gegangen ist, war richtig durchsichtig, als hätte die Stadt so eine dünne Haut wie die Leichen, die nach einem Tag immer so durchsichtig werden.
    Weil so lange waren die beiden Stadion-Bettler schon tot, wie sie in das dritte Haus gekommen sind. Der Brenner hätte sich nur gewünscht, dass er diese Erinnerung nicht sein Leben lang mit sich herumschleppen muss. Wie alle einundzwanzig Bewohner der Barackensiedlung sich zusammen mit den zwei Toten in dem einen Haus eingeschlossen haben, vor lauter Angst, der Killer kommt mit seinem Motorrad noch einmal zurück.
    Du wirst sagen, zwei Tote, das muss ein alter Brenner schon öfter in seinem Leben gesehen haben, da darf er deshalb nicht gleich so eingehen, deshalb darf er nicht gleich Graz als eine Geisterstadt und sich selber als Gespenst sehen, und da darf er sich vor allem nicht gleich einbilden, dass Graz leuchtet, als hätte die Stadt eine Taschenlampe verschluckt.
    Pass auf, du weißt noch nicht alles. Weil er ist dann sofort nach Graz zurückgefahren. Und er ist dann noch mitten in der Nacht vollkommen übermüdet zum CampingParkplatz hinter dem Ostbahnhof hinausgefahren. Er hat die Handleserin fragen müssen, ob irgendjemand von ihr erfahren hat, dass er nach Hostice unterwegs war.
    Eine halbe Stunde nach Mitternacht ist er hinter dem Ostbahnhof angekommen. Aber kein Licht im Campingwagen. Kein Fernseher. Kein gar nichts. Du wirst sagen, eine halbe Stunde nach Mitternacht darf eine Handleserin auch einmal schlafen. Aber der Brenner hat ja wie wild an die Tür gehämmert, er hat an die Scheibe gehämmert, und keine Reaktion.
    Jetzt hat er derart Angst gekriegt, die Handleserin ist auch tot, dass er versucht hat, das Fenster aufzudrücken. Länger als eine Minute hat er nicht gebraucht, dann ist er schon drinnen gesessen auf seinem Sperrmüll-Fauteuil. Weil der war noch da.
    Alles andere war weg. Der Fernseher weg. Das Geschirr weg. Das Gewand weg. Die Zigeunerin weg.
    Viel hat nicht gefehlt, und er wäre vor Erschöpfung im Fauteuil eingeschlafen. Aber er hat sich dann doch noch einmal zum Aufstehen gezwungen. Und wie er wieder aus dem Campingwagen aussteigen wollte, hat ihn der Blitz getroffen.
    Pass auf, was ich dir sage. Wenn du in so einem Zustand um diese Uhrzeit hinter dem Ostbahnhof vollkommen unvorbereitet in ein Blitzlicht schaust, dann glaubst du natürlich: alles vorbei. Da glaubst du nicht, ich gefalle vielleicht zufällig einer Passantin, die geht gerade übermütig von der Disco heim, jetzt macht sie ein Foto von mir. Sondern du glaubst, letztes Blitzlicht, und dann ewige Finsternis. Du denkst dir, so ist das also, ausgerechnet in dem Campingbus, wo man mir das Abkratzen vorausgesagt hat, kratze ich jetzt wirklich ab, quasi selbsterfüllende dings.
    Aber bei Blitzen ist das immer wieder interessant. Der zweite Blitz macht es nicht schlimmer, sondern besser. Beim zweiten Blitz kapierst du, dass du noch am Leben bist, und der Brenner hat jetzt sogar kapiert, der idiotische Hobbypolizist, der das Zigeunerlager bewacht, macht gerade ein Foto von mir.
    Jetzt warum hat der Brenner beim dritten Blitzen derart aufgeschrien, dass sogar der Hobbypolizist Mitleid mit dem Campingbus-Einbrecher bekommen hat?
    Ob du es glaubst oder nicht, nach sieben Wochen und vier Tagen hat der Schmerz doch noch in seinen Schusskanal hineingefunden. Dass es so was gibt. Sieben Wochen und vier Tage, nachdem der aus dem Koma aufgewacht ist, und viereinhalb Wochen, nachdem sie die letzten Schmerzmittel abgesetzt haben, weil der Professor Hofstätter gesagt hat, so einen Schmerzverweigerer hat er überhaupt noch nie erlebt, und zwei Wochen, nachdem der Dr. Bonati zum letzten Mal zu ihm gesagt hat, seine Schmerzverdrängung ist typisch, weil das beste Indiz, dass er das andere auch verdrängt, und eine Sekunde, nachdem der Hobbypolizist das erste Mal abgedrückt hat, und eine halbe Sekunde, nachdem der Hobbypolizist das zweite Mal abgedrückt hat, ist ihm in dem Augenblick, wo ihm der Hobbypolizist mit seinem Fotoapparat zum dritten Mal ins Gesicht

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