Das Exil Der Königin: Roman
blindlings durch den Wald, sprang über umgefallene Bäume und andere Hindernisse, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und das Schlachtfeld zu bringen. Montaigne bereitete sich darauf vor, in Tamron einzumarschieren, so viel war klar. Wenn Ardens abertausend Soldaten den Fluss überquerten, konnte es keinen Zweifel daran geben, wie dieses Gefecht enden würde. Und waffenlos, wie sie war, machte sie sich keine Illusionen über das, was sie dazu beitragen konnte.
Sie warf einen Blick über die Schulter, um nach etwaigen Verfolgern Ausschau zu halten, und prallte fast mit dem Kopf voran gegen die Flanke eines Pferds.
»Hanalea in Ketten!«, rief sie und kam abrupt zum Stehen.
Es war Fionas Pferd Ghost, ein großer, temperamentvoller grauer Hengst mit weißen Fesseln. Raisa machte einen Satz auf das Tier zu und packte die Zügel. Das Pferd legte die Ohren an und zuckte vor ihrer Hand zurück, aber es gelang ihr dennoch, in den Sattel zu klettern. Die Steigbügel waren deutlich zu lang eingestellt, aber sie klammerte sich wie eine Klette an Ghosts Rücken und trieb dem Tier die Fersen in die Flanken. Der Hengst reckte seinen langen Hals und begann immer schneller zu laufen, bis er im Zickzack zwischen den Bäumen hindurchgaloppierte.
Er weiß wahrscheinlich gar nicht, dass ich hier oben sitze und nicht Fiona, dachte Raisa.
Sie drückte sich flach gegen den Hals des Hengstes, um nicht von irgendwelchen tiefhängenden Ästen und Zweigen aus dem Sattel gefegt zu werden, während sie ihn dahingaloppieren ließ.
Es galt, schnellstens so viel Abstand wie möglich zwischen sich und diejenigen zu bringen, die möglicherweise schon bald hinter ihr her sein würden. Das bedeutete, dass sie genau nach Westen reiten musste, bis zur Straße. In dem regen Treiben dort würde sie untertauchen und rasch vorankommen können, egal, für welche Richtung sie sich entschied.
Aber welche Richtung sollte sie nehmen?
Sie hatte zwar Fionas Satteltaschen, aber keine Ahnung, was darin war. Und sie hatte etwas Geld in der Börse, die noch immer in der Innenseite ihres Umhangs steckte.
Sofern Micah und Fiona sich aus der Schlacht absetzen konnten, würden sie bestimmt vermuten, dass sie nach Süden ritt und nach Odenford zurückkehrte, um wieder zu Amon und den anderen zu gelangen. Sie würden nicht damit rechnen, dass sie allein nach Norden ritt, ganz besonders nicht nach dem, was gerade passiert war.
Montaigne andererseits würde davon ausgehen, dass sie nach Norden ritt, nach Hause – oder nach Westen, nach Tamron Court, um dort Zuflucht zu finden. Sie konnte nur hoffen, dass die Armee von Tamron ihn und seine Soldaten eine Weile beschäftigt hielt. Sicherlich würde Montaigne sie nicht verfolgen, wenn eine Invasion im Gange war. Zweifellos würde er auf die Hauptstadt zuhalten.
Also nach Norden. Wenn sie es bis Fetterford schaffte, konnte sie vielleicht Hauptmann Byrne benachrichtigen lassen, um eine Eskorte zu bekommen. Sie würden entweder weiter nach Norden durch das Demonai-Vale reiten oder sich nach Osten zum Marisa-Pines-Camp wenden, je nachdem, wie die Dinge gerade standen.
Ghost brauchte keine weitere Ermutigung, um den Lärm der Schlacht hinter sich zu lassen. Raisa lenkte ihn mit Knien und Händen, während ihre Gedanken um die Ereignisse der Vergangenheit und um ihre Aussichten für die Zukunft kreisten.
Sie hatte sich nach der schlichten Sicherheit der Kindheit gesehnt, nach der Möglichkeit, die Verantwortung den Byrnes dieser Welt zu übergeben und sich unter ihrem Schutz sicher zu fühlen.
Aber das Erwachsensein hat mich eingeholt, dachte sie. Es wird einem aufgezwungen, ob es einem gefällt oder nicht.
Sie hatte sich verändert. Sie war nicht mehr die gleiche Person, die vor zehn schrecklich kurzen Monaten mit Amon Byrne weggelaufen war.
Sie hatte mehr Fähigkeiten, aber weniger Zuversicht. Sie war jetzt besser ausgebildet, Menschen zu beurteilen, aber kaum davon überzeugt, genau das tun zu können. Als sie die Fells verlassen hatte, hatte sie gedacht, man könnte Menschen immer in jeweils zwei Gruppen einteilen – gut und böse, mutig und feige, tugendhaft und schlecht. Jetzt begriff sie, dass in den meisten Menschen ein bisschen von allem steckte – und es oft von den Umständen abhing, welche Elemente vorherrschten.
Micah Bayar war trotz seiner Fehler eine Mischung aus Gut und Böse. Sie wäre durch die Hand eines Attentäters gestorben, wäre er nicht gewesen. Er hatte versucht, sie zu
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