Das Exil Der Königin: Roman
ist.«
»Ihr wisst, dass ich nicht euer Feind bin«, sagte Amon und sah die Wasserläufer der Reihe nach an. »Und auch meine Kadetten sind es nicht. Mein Vater hat eine Stimme am Hof. Wenn ihr uns gehen lasst, werde ich dafür sorgen, dass er eure Interessen vertritt. Es hilft überhaupt nichts, uns zu töten; stattdessen werdet ihr ihn nur gegen euch einnehmen. Ihr werdet eine Ehrenschuld hervorrufen, die ihr niemals zurückzahlen könnt.«
Raisa wusste, was er dachte. Wenn ihr die Erbprinzessin tötet, wird es keine Möglichkeit der Aussöhnung geben. Niemals.
»Es tut mir leid«, erwiderte Dimitri. »Du warst mein Freund. Vielleicht können wir im Jenseits wieder Freunde sein. Aber nicht auf dieser Erde. Zu viele Tote stehen jetzt zwischen uns.«
Er hat aufgegeben, dachte Raisa. Er glaubt, es ist vorbei. Er ist wie ein Toter, der nur noch darauf wartet, dass er zu atmen aufhört, während er weiter herumgeht. Und sein Volk wird den Preis dafür zahlen.
Raisa starrte in den Nebel und blinzelte eiskalte Tropfen und Tränen der Verzweiflung beiseite. Der Nebel wirbelte und verdichtete sich – und eine riesige, grauweiße Wölfin tauchte auf, über deren rasiermesserscharfen Zähnen ihre Zunge hing. Sie starrte Raisa an. Ihre grünen Augen leuchteten im Feuerschein, und eine dünne Schicht aus glitzerndem Eis ließ ihr Fell silbern erscheinen.
Der Graue Wolf – das Totem ihres Geschlechts. Es bedeutete Risiko. Eine Chance. Einen Wendepunkt.
Ich weigere mich, hier zu sterben, sagte Raisa zu der Wölfin. Ich bin erst sechzehn. Ich habe noch zu viel zu tun.
Die Wölfin schüttelte sich, und kleine Stückchen aus Eis flogen ins Feuer. Es spritzte und knisterte, und Funken stoben gen Himmel. Sie bleckte die Zähne, knurrte und ließ ein dreifaches scharfes Jaulen folgen.
War es eine Art Zeichen? Ein Pfad, dem sie folgen sollte?
Raisa kniete sich jetzt hin und beugte sich vor. Ihre Hände waren angespannt. »Wenn ihr die ganze Zeit vorhattet, uns sowieso zu töten«, sagte sie zu Dimitri, »wieso habt ihr dann überhaupt in dieses Gespräch eingewilligt?«
Alle drei starrten sie an; ihre Wut hatte sie vollkommen überrascht.
»Du bezeichnest dich als Anführer deines Volkes. Wenn du das bist, musst du deine Leute retten.«
Dimitri blinzelte sie an. »Davon verstehst du nichts«, sagte er perplex.
»Ich glaube doch, dass ich das tue«, entgegnete Raisa. »Rivertown ist zerstört worden. Deine Familie wurde getötet. Das ist schrecklich. Du bist von Kummer überwältigt. Du fühlst dich gelähmt. Jeder würde sich an deiner Stelle so fühlen. Aber du darfst dir nicht den Luxus leisten, dich in der Trauer gehen zu lassen.«
Amon berührte Raisas Knie. »Hör auf, Morley«, knurrte er.
»Er muss das hören«, sagte Raisa. »Er wird uns sowieso töten, also, was spielt es da für eine Rolle, ob es ihm gefällt oder nicht?« Sie stand auf und ging hin und her und stieß entschlossen ihre Faust in die andere Hand. »Du weißt, dass wir nicht deine Feinde sind. Du weißt, dass wir keine Gefahr für dich sind. Und du weißt auch, dass du die Armee von Fells nicht aus eurem Gebiet fernhältst, indem du uns tötest. Der einzige Grund, uns zu töten, ist Rache. Zum Ausgleich der Schuld, von der du spürst, dass die Königin der Fells sie euch gegenüber auf sich geladen hat.«
Sie schwang herum und sah Adoni und Leili an. »Es ist so einfach. Deine Berater ermutigen dich zu diesem Handeln. Sie trauern genauso, und es sieht auf den ersten Blick ja auch richtig aus. Du hast das Gefühl, du tust etwas, irgend etwas, während du dich in Wirklichkeit hilflos fühlst. Aber du bist verantwortlich für dein Volk, und wenn du uns tötest, wird das deinem Volk schaden. Herrscher wählen nicht den leichtesten Weg. Du kannst nicht einfach tun, was du möchtest.«
Amon saß erstarrt da; seine Hände ruhten auf seinen Oberschenkeln, als würde er eine Explosion verursachen, wenn er sich auch nur ein bisschen bewegte. Adoni und Leili sahen Raisa mit einer Mischung aus Verwunderung und Verärgerung an.
»Sei still, Mädchen«, knurrte Adoni. »Wir brauchen hier keinen Grünschnabel, der uns darüber einen Vortrag hält, was wir können und was nicht.«
Aber Dimitri hob – ohne den Blick von Raisa zu nehmen – die Hand, um seinen Onkel zu beschwichtigen. »Ich darf keine Rache nehmen, sagst du. Was darf ich dann tun?«, fragte er trocken.
»Du kannst die Entscheidung treffen, die für die Fens am besten ist, unabhängig
Weitere Kostenlose Bücher