Das Exil Der Königin: Roman
davon ausgehen, dass sie in der Überzahl sind.«
»Sollen wir weglaufen?«, flüsterte Raisa.
»Wenn wir weglaufen, kriegen sie uns auch. Ich versuche, ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, damit wir erfahren, was los ist. Es passt gar nicht zu ihnen, einfach grundlos anzugreifen.«
»Vielleicht haben sich die Dinge geändert, seit du hier gewesen bist«, sagte Raisa und bedauerte ihre Worte sofort, als sie in Amons Gesicht Schmerz und Schuldgefühle aufflackern sah.
Er drückte ihr eine Satteltasche in die Arme. »Da drin findest du was zu essen und ein paar andere Sachen. Ich gehe raus und bitte sie um ein Gespräch. Du bleibst hier und hörst zu. Wenn die Dinge schlecht laufen, schleichst du dich hinten raus und läufst weg. Vielleicht kannst du ihnen entkommen, wenn du allein bist.«
Wie würde es wohl sein, mit anzuhören, wie Amon ermordet wurde, und dann verfolgt von seinen Mördern ganz allein durch diesen schrecklichen Sumpf zu laufen?
»Nein. Das tue ich nicht«, antwortete Raisa. »Wir bleiben zusammen, egal was passiert. Und wenn es sein muss, sterben wir zusammen.«
»Bitte, Raisa«, sagte er und packte ihre Hände so fest, dass es schmerzte. »Das hier ist mein Fehler. Wir hätten diesen Weg nicht nehmen sollen. Ich dachte, ich wüsste, worauf wir uns einlassen, aber ich hätte besser auf Barlow gehört. Gib mir eine Chance, dich zu retten, wenn ich schon die anderen verloren habe.«
»Wir waren alle der Meinung, dass dieser Weg hier unsere beste Möglichkeit darstellt, über die Grenze zu kommen«, sagte Raisa. »Einschließlich deines Vaters. Ich werde das jetzt nicht in Frage stellen. Egal was passiert, ich denke, dass wir zusammen sicherer sind.« Raisa kroch zum Vorderausgang des Zelts. »Und jetzt sollten wir rausgehen. Ich glaube, es ist besser, zu ihnen rauszugehen, als sie auf der Suche nach uns hier reinkommen zu lassen.«
»Also schön.« Amon glitt zu ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Aber halt dich im Hintergrund, ja? Ich möchte nicht, dass sie wissen, wer du wirklich bist. Ich werde um einen Waffenstillstand bitten.«
Sie traten hinaus in die unheimliche Leere ihres Lagers. Amon holte seinen Kampfstock vom Pferd, hielt ihn horizontal in seinen nach oben geöffneten Händen und legte ihn dann in der Mitte der Lichtung ins Gras. Er trat drei lange Schritte von der Waffe zurück und rief etwas in einer Sprache, von der Raisa vermutete, dass es die Sprache der Wasserläufer war.
Eine Sprache, die sie nicht kannte. Wieso hatte sie sie nicht gelernt?
Die Antwort war ganz einfach: Ihre Lehrer und Berater in Fellsmarch sahen in den Wasserläufern kaum mehr als Wilde. Diese Leute benutzten weder Metallwaffen noch Geräte, sie ritten nicht auf Pferden und lebten in schlichten Behausungen, die sie von einem Ort zum anderen mitnahmen.
Amon wartete auf eine Antwort, und als keine kam, wiederholte er den Ruf. Beim dritten Mal formten sich Schemen im Nebel und bewegten sich auf sie zu.
Es waren drei von ihnen – ein junger Mann, genau genommen ein Junge, der zwei oder drei Jahre jünger war als Raisa, und ein Mann und eine Frau mittleren Alters. Sie hatten alle die gleichen dichten schwarzen Augenbrauen und die gleiche kräftige gerade Nase. Sie trugen blasse, einer Tunika ähnelnde Kleidungsstücke und Umhänge, die es schwierig machten, sie in dem frostigen Nebel zu erkennen. Alle hatten Kampfstöcke wie Amon.
Der Junge stand da und starrte Amon an. Im Gegensatz zu Amons schlichter Waffe war sein Stock aufwendig mit Fischen, Schlangen und anderen fantastischen Kreaturen geschmückt. Er war so klein, dass er perfekt zu der Statur des Jungen und dessen leichtem Körperbau passte. Seine Kleidung war etwas kunstvoller als die der anderen, denn sie war mit blassen, silbrigen Fäden in einem Muster bestickt, das an Sonnenstrahlen auf kleinen Wellen oder Fischschuppen erinnerte.
»Guten Tag, Dimitri«, sagte Amon in der Allgemeinen Sprache und streckte dem Jungen die Hände entgegen.
»Korporal.« Dimitri machte keine Anstalten, die Geste zu erwidern, sondern stand einfach nur da und hielt mit ungerührter Miene seinen Stock fest. Amon neigte den Kopf und musterte Dimitris Gesicht, während er seine Hände zurückzog und locker seitlich hängen ließ.
»Guten Tag, Adoni und Leili«, wandte sich Amon an den älteren Mann und die ältere Frau. Die beiden standen steif und mit ausdrucksloser Miene da und hielten ihre Stöcke quer vor ihren Körpern.
Nach einer längeren
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