Das Experiment
neugierig waren, wer aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Einige von ihnen sahen aber auch zweimal hin, als sie die Verletzungen im Gesicht der Frau bemerkten.
Ginny hasste das alles – die Neugier, die nochmaligen Blicke. Sie hatte das Gefühl, dass die anderen sie nur ansehen mussten, um zu wissen, was ihr widerfahren war. Ihr war, als würden ihre Blicke sie ausziehen.
Als sie den Ausgang erreicht hatten, kam Dan Howard auf sie zu.
„Miss Shapiro, schön, Sie wieder zu sehen.“
Sie horchte auf. Wieder zu sehen? Hatte sie ihn schon einmal gesehen?
Howard bemerkte, dass sie ihn nicht wiedererkannte, und so sehr er es auch hasste, sie daran zu erinnern, war es doch nicht zu vermeiden. Auf dem Weg zu dem Versteck, das man für sie ausgewählt hatte, gab es noch vieles, was er sie würde fragen müssen.
„Ich habe Sie besucht, nachdem Sie eingeliefert wurden“, sagte er. „Vielleicht erinnern Sie sich nicht mehr daran. Es war keine einfache Zeit für Sie.“
„Oh doch, ich erinnere mich.“
„Kommen Sie, steigen Sie in den Wagen, der ist angenehm gekühlt“, fuhr Howard fort. „Sully sitzt vorne bei mir, dann können Sie es sich hinten bequem machen. Wir fahren nur ein kurzes Stück bis zum Landeplatz, von da aus geht es dann einige Stunden per Hubschrauber weiter.“
Ginny sah Sully nervös an.
„Es ist alles in Ordnung, Ginny.“
Beruhigt stieg sie in den Wagen und schnallte sich an. Entspannen konnte sie sich aber erst, nachdem sie abgefahren waren. Sie ließ den Kopf nach vorne sinken und tat so, als sei sie eingeschlafen, weil sie wusste, dass sie dabei viel mehr erfahren würde als durch gezielte Fragen.
Unterwegs wurde ihr die bittere Ironie ihrer Situation bewusst. Sie war einem Anschlag auf ihr Leben zum Opfer gefallen und hatte überlebt, dennoch war sie noch lange nicht außer Gefahr. Es schien fast unmöglich, dass ihr noch irgendetwas passieren konnte, und doch war das Erlebte vielleicht gar nichts im Vergleich zu dem, was vor ihr lag. Sie schwebte nach wie vor in Lebensgefahr, und ihr Feind hatte noch immer kein Gesicht. Wäre da nicht der Mann gewesen, der vor ihr neben Dan Howard saß, hätte sie vielleicht längst den Verstand verloren.
„Wohin fahren wir?“
„Das nächste Haus in sicherer Lage ist in Phoenix. Da ist es zwar um diese Jahreszeit höllisch heiß, aber es gibt dort einen Pool. Und die Aussicht ist atemberaubend.“
„Es ist egal, wohin es geht“, sagte Sully. „Ginny braucht einfach nur Zeit, um wieder zu sich selbst zu finden.“
„Ich muss ihr ein paar Fragen stellen.“
„Nicht jetzt“, sagte Sully.
„Verdammt, Sully, wir versuchen hier, ihr Leben zu retten. Ich schlage vor, wir überlassen ihr die Entscheidung.“
Sully senkte seine Stimme, damit Ginny ihn nicht verstehen konnte. „Du verstehst nicht die Situation. Mental schafft sie es so gerade eben, einen Tag hinter sich zu bringen, und das auch nur dann, wenn sich ihr niemand in den Weg stellt. Wenn du sie zu sehr bedrängst, könnte sie völlig den Halt verlieren.“
„Ich will sie nicht bedrängen, ich will nur mit ihr reden“, erwiderte Howard. „Wenn wir in Phoenix angekommen sind, sehen wir weiter. Einverstanden?“
Sully runzelte die Stirn, wusste aber, dass Dan Recht hatte. Sie benötigten Informationen, um den Fall zu lösen, und solange das nicht geschehen war, gab es für Ginny kein normales Leben.
„Einverstanden“, stimmte Sully zu. „Da hinten kommt der Hubschrauber, der uns abholen soll.“
„Gut. Auf die Minute“, sagte Howard.
„Ach, Dan, was ich noch fragen wollte“, begann Sully plötzlich. „Unsere Sachen aus den beiden Hütten … wo sind die abgeblieben?“
„Hinten im Kofferraum.“
„Alles? Auch die Sachen aus meinem Wagen?“
„Ja. Wir haben deinen Leihwagen zurückgegeben, und der Wagen von Miss Shapiro steht zurzeit in einem Parkhaus in Biloxi. Quittung und Schlüssel sind in deinem Gepäck.“
„Danke.“
„Du kennst die Routineabläufe ja aus eigener Erfahrung. Ach ja, da ist noch etwas. Der alte Mann, der die Hütten vermietet, hat mir das Geld zurückgegeben, das du und Ginny bezahlt habt. Er meinte, das wäre das Mindeste, was er tun könnte.“
Sully nickte, dann blickte er über die Schulter zu Ginny, um sicher zu sein, dass sie ihm nicht zuhörte.
„Was Auger angeht …“
„Er hat sich des tätlichen Angriffs und der versuchten Vergewaltigung für schuldig bekannt, bevor er Gefahr laufen konnte, dass der Staatsanwalt ihn
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