Das Experiment
im selben Krankenhaus untergebracht. Er wurde zwar bewacht, befand sich jedoch im selben Gebäude. Allein der Gedanke daran gab ihr das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Was, wenn er seinen Bewachern entkam und das vollenden wollte, wovon ihn Sully abgehalten hatte?
Die Ärzte und Krankenschwestern waren hier, außerdem ein Mann, von dem sie glaubte, er sei möglicherweise ebenfalls vom FBI. Am ersten Tag hatte er zweimal nach ihr gesehen, aber seitdem war er nicht wieder aufgetaucht. Die anderen hatten sie nicht allein gelassen, sondern wollten, dass sie über das sprach, was geschehen war – dass sie ihnen in allen schrecklichen Einzelheiten erzählte, wie der Mann ihr die Kleider vom Leib gerissen, sie geschlagen hatte und über sie hergefallen war. Sie wollten von ihr hören, wie er zusammenzuckte und aufschrie, als Sullys Kugel ein Loch in seinen Körper bohrte, wie sein Blut auf ihr Gesicht und an ihre Hände gekommen war. Und das alles im Namen der Medizin und des Gesetzes. Konnten sie nicht verstehen, dass diese Worte wie Gift auf ihren Lippen waren?
Mit einem Mal war sie angespannt. Sie hörte Stimmen vor der Tür. Sonst verschwanden sie nach einer Weile, aber nicht dieses Mal. Die Tür wurde zögerlich geöffnet.
Sie zog das Laken bis an ihr Kinn und hielt den Atem an, bis sie ihn sah, wie er aus einem Rollstuhl aufstand und zu ihr kam. Sully!
Oh Gott! Sully!
Ihr Herz begann zu rasen. Der übliche Schwung in seinem Gang fehlte, und die Sorge, von der sein Gesicht geprägt war, beschämte sie. Sie war hässlich, sie würde nie wieder hübsch aussehen.
Sie wagte einen zweiten Blick auf sein Gesicht, diesmal tief in seine Augen. Er weinte. Sie hatte noch nie einen erwachsenen Mann weinen gesehen – jedenfalls nicht so. Er weinte ihretwegen. Sie schloss die Augen, unfähig, sein Mitleid zu ertragen.
„Ginny … Ginny, Baby, sieh mich an.“
Als er sie an der Schulter berührte, zuckte sie zusammen.
„Es tut mir Leid … es tut mir so Leid“, sagte er leise. „Ich hatte nicht daran gedacht …“
Sie hörte, wie er seufzte. Es war die Niedergeschlagenheit, die in dem Laut mitschwang und sie beschämte. Dieser Mann war nicht wie Carney Auger. Dieser Mann hatte versprochen, sie nicht sterben zu lassen, und er hatte sein Versprechen gehalten. Das Einzige, was er jetzt von ihr wollte, war, dass sie ihn ansah. Es war das Mindeste, was sie tun konnte.
Als sie die Augen öffnete, erschlaffte Sully. Der Stress, nicht länger im Krankenbett zu liegen, und die Sorge um sie hatten an ihm gezehrt. Er schwankte, und im gleichen Moment kam ein Pfleger ins Zimmer, um ihn zu stützen. Als Ginny den Fremden sah, riss sie angsterfüllt die Augen auf.
Sully drehte sich um und sagte mit ungehaltener Stimme: „Raus hier! Lassen Sie uns allein! Mir geht es gut!“
„Aber, Sir, Sie sind noch viel zu schwach, um …“
„Auf der Stelle!“ herrschte Sully ihn an.
Er sah wieder zu Ginny, die ihn anblickte. Er merkte, dass sie sein Gesicht nach Verletzungen absuchte und dass ihr Blick auf dem Verband ruhte, der die genähte Wunde bedeckte. Ihre Unterlippe begann zu zittern.
Er stöhnte auf. „Baby … bitte … ich schwöre, dass ich dir nicht wehtun werde, aber ich muss dich berühren.“ Seine Stimme versagte einen Augenblick lang. „Es war mein Fehler. Ich habe nicht aufgepasst …“
Ginny schossen Tränen in die Augen und nahmen ihr die Sicht.
„Du hast mir das Leben gerettet“, flüsterte sie und fasste seine Hand.
Sully erstarrte. Er wurde von Schuldgefühlen geplagt und hätte nicht erwartet, so etwas von ihr zu hören.
„Ach, Ginny!“
Sie drückte seine Hand an ihre Wange. Ihre Tränen liefen über seine Haut, ihr Mund zuckte, während sie zu sprechen versuchte.
„Ich dachte, er hätte dich umgebracht. Ich wusste doch nicht, wo du warst.“
Sully stöhnte leise und setzte sich auf die Bettkante, bevor er den Halt verlor.
Ihre Pupillen weiteten sich vor Angst, und sie sprach so leise weiter, dass er sie kaum noch hören konnte: „Er ist hier. Hier im Krankenhaus.“
Er versteifte sich. „Meinst du Carney?“
Ihre Hand umklammerte seinen Arm, ihre Finger bohrten sich in den Stoff.
„Leg dich nicht schlafen“, fuhr sie fort. „Es ist gefährlich.“
„Das darf doch nicht wahr sein“, zischte Sully und stand abrupt auf. „Ich bin sofort zurück.“
Er ging zur Tür.
Der Wachmann machte einen Satz und griff nach seiner Waffe, als Sully ihn am Arm packte.
„Sorgen Sie dafür,
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