Das Experiment
grünen Bergen und Tälern, wo er aufgewachsen war, wirkte die Wüste rund um das Haus wie die Mondoberfläche.
Er konnte besser nachdenken, wenn er in Bewegung war, also steckte er die Hände in die Hosentaschen und spazierte über den rückwärtigen Teil des großzügigen Grundstücks.
Es schien so völlig unmöglich, doch auf der anderen Seite trugen sich auf der Welt Dinge zu, die mindestens genauso undenkbar waren. Sollte Emile Karnoff, der momentane Liebling der Medizinerwelt und aussichtsreichste Kandidat auf den Titel „Mann des Jahres“, an einem so finsteren Plan beteiligt sein? Wenn sie sich ausschließlich an Ginnys Reaktionen orientierten, dann war seine Schuld so gut wie bewiesen. Aber es gab noch so viele andere Dinge, die in Erwägung gezogen werden mussten. Es musste festgestellt werden, ob die Frauen von seinem Apparat aus angerufen worden waren, ob er Reisen unternommen hatte, die mit dem Tod von Georgia und Edward Fontaine zusammenfielen. Diesen Teil der Ermittlung musste er Dan überlassen. Er selbst konnte nur aufpassen, dass Ginny nichts zustieß, bis jemand dieser Verbrechen angeklagt wurde. Danach …
Er blieb stehen und sah hinaus in die Wüste. Was würde danach sein? Würde Ginny sich von allem befreien wollen, was mit diesem Fall zu tun hatte – ihn eingeschlossen? Oder würden ihre Gefühle für ihn überdauern? Er konnte nur darauf hoffen. Er wusste nur, dass er noch nie solche Angst empfunden hatte wie in dem Augenblick am heutigen Tag, als sie in seinen Armen zusammengebrochen war. In den wenigen Sekunden wäre er am liebsten sofort mit ihr weggelaufen, ohne sich jemals wieder umzusehen. Wenn sie ihn haben wollte, würde er den Rest des Lebens an ihrer Seite verbringen und sich glücklich schätzen. Doch bis das Rätsel gelöst und der Schuldige zur Rechenschaft gezogen war, würde das, was er wollte, zurückstehen müssen.
Emile wollte einen Drink vor dem Abendessen zu sich nehmen, als jemand an der Zimmertür klopfte. Er stellte das Glas ab und ging zur Tür, um sie zu öffnen. Im Korridor standen der Hotelmanager und ein Polizist.
„Dr. Karnoff? Emile Karnoff aus Bainbridge, Connecticut?“
Er lächelte den Manager nervös an und nickte dann.
„Ja, der bin ich.“
„Dr. Karnoff, dürfen wir für einen Augenblick hereinkommen?“
„Gewiss. Ich wollte vor dem Abendessen nur noch etwas trinken“, sagte er. „Kann ich Ihnen auch etwas anbieten?“
„Nein, Sir“, erwiderte der Polizist. „Trotzdem vielen Dank.“
Der Manager schüttelte nur kurz den Kopf und blieb im Hintergrund. Es war offensichtlich, dass er den Beamten lediglich zu Emiles Zimmer begleitet hatte.
„Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“ fragte er.
„Sir, es tut mir sehr Leid, Ihnen diese Nachricht überbringen zu müssen. Aber Ihr Sohn Phillip ist tot. Und Ihre Frau Lucy ist im Krankenhaus.“
Emile wurde bleich. Einen Moment lang glaubte er, dass er etwas falsch verstanden hatte. Aber das Mitgefühl, das beide Männer zur Schau stellten, sprach für das Gegenteil.
„Tot? Mein Gott, wie? Was? Hat es einen Unfall gegeben? Ist Lucy verletzt?“
„Die Polizei von Bainbridge hat uns gebeten, Sie zu finden und Ihnen die Information zu geben. Ich kann Ihnen sagen, dass Ihr Sohn keinen Unfall hatte, sondern Selbstmord begangen hat. Ihre Frau hat das mit angesehen und wird deshalb ärztlich behandelt. Soweit uns bekannt ist, hat sie keine Verletzungen davongetragen.“
„Nein“, stammelte Emile. „Kein Selbstmord. Das kann nicht sein, es gab keine Anzeichen, dass …“
Er erinnerte sich, wie er Phillip zum letzten Mal in seinem Zimmer gesehen hatte. Da hatte er bereits gewusst, dass etwas nicht stimmte, aber er hatte sich einfach abgewendet und war gegangen.
„Hätte ich doch bloß mehr auf ihn geachtet. Mein Gott … ich habe allen geholfen, nur nicht meiner Familie … was ist nur aus mir geworden?“
„Dr. Karnoff, Sie sollten sich besser hinsetzen“, sagte der Manager und brachte ihn zu einem Sessel. „Sir, im Namen aller hier im Hotel möchte ich Ihnen unser tiefes Mitgefühl ausdrücken. Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann …“
Emile schüttelte den Kopf und begann, an seiner Krawatte zu nesteln, dann an den Falten in seiner Hose, als wäre es in diesem Moment das Wichtigste, gepflegt auszusehen.
„Ich … ich muss nach Hause. Ich muss am Flughafen anrufen, ich muss hier alle Termine absagen. Und Lucy … meine liebe Lucy. Dass eine Mutter etwas so Entsetzliches
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